Byrne & Balzano 02 - Mefisto
der Mönch die Maske vor ihm auf den Boden warf.
»Gleich werde ich Sie bitten, diese Maske aufzusetzen«, sagte der Mönch. »Und dann beginnen wir.«
Byrne wusste, dass er das Risiko einer Schießerei hier in diesem Raum, in dem sich Colleen aufhielt, nicht eingehen konnte. Sie war hinter ihm ans Bett gefesselt. Ein Schusswechsel würde ihren sicheren Tod bedeuten.
»Der Vorhang geht auf.« Der Mönch trat an die Wand und drückte auf einen Schalter.
Ein heller Scheinwerfer leuchtete auf.
Es war Zeit. Er hatte keine andere Wahl.
Mit einer geschickten Bewegung zog Byrne die Sig Sauer aus dem Holster am Fußgelenk, sprang auf, wandte sich zum Licht und schoss.
92.
Die Schüsse waren ganz in der Nähe abgefeuert worden, doch wo genau, hätte Jessica nicht sagen können. War in diesem Gebäude geschossen worden? Im Nachbarhaus? Oben? Hatten die Detectives draußen die Schüsse gehört?
Die Waffe erhoben, wirbelte sie in der Dunkelheit herum. Sie konnte die Tür nicht mehr sehen, durch die sie das Gebäude betreten hatte. Es war zu dunkel. Jessica hatte die Orientierung verloren. Sie hatte ein paar kleine Räume durchquert und vergessen, welcher Weg zurück zur Eingangstür führte.
Jessica schlich sich an einen schmalen Bogengang heran. Ein verstaubter Vorhang hing über dem Durchgang. Sie spähte hindurch. Vor ihr lag ein anderer dunkler Raum. Mit der Waffe im Anschlag und der Taschenlampe über dem Kopf trat sie hindurch. Zu ihrer Rechten eine kleine Pullman-Küche. Es roch nach ranzigem Fett. Sie ließ den Strahl der Taschenlampe über den Boden, die Wände, die Spüle gleiten. Diese Küche war seit Jahren nicht mehr benutzt worden.
Auf jeden Fall nicht, um zu kochen.
Auf einer Seite des Kühlschranks klebte Blut, eine breite, frische rote Blutspur. Das Blut rann in dünnen Rinnsalen auf den Boden. Es waren Blutspritzer einer Schussverletzung.
Hinter der Küche war noch ein Raum. Von Jessicas Standort aus sah er wie ein alter Lagerraum aus, an dessen Wänden zerbrochene Regale standen. Jessica ging weiter und wäre beinahe über eine Leiche gestolpert. Sie kniete sich auf den Boden. Es war ein Mann. Die rechte Kopfhälfte war fast vollständig zerfetzt.
Sie richtete ihre Taschenlampe auf die Leiche. Das Gesicht des Mannes war ein nasser Brei aus Hautfetzen und zersplitterten Knochen. Hirnmasse breitete sich auf dem schmutzigen Boden aus. Der Mann trug eine Jeans und Laufschuhe. Jessica ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über den Leichnam gleiten.
Und sah das Logo des Philadelphia Police Department auf dem dunkelblauen T-Shirt.
Saure Galle stieg ihr in die Kehle; das Herz schlug laut in ihrer Brust; ihre Arme und Hände zitterten. Jessica versuchte, sich zu beruhigen, als sie das ganze Ausmaß des Entsetzens begriff. Sie musste hier raus. Sie brauchte Luft zum Atmen. Aber zuerst musste sie Kevin finden.
Sie richtete die Waffe nach vorn und rollte sich zur linken Seite ab. Ihr Herz drohte zu zerspringen. Die Luft war so stickig, dass sie das Gefühl hatte, in ihre Lungen würde Flüssigkeit dringen. Schweiß tropfte ihr von der Stirn in die Augen, die zu brennen begannen. Sie fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht.
Jessica nahm all ihren Mut zusammen und spähte vorsichtig um die Ecke und den breiten Gang hinunter. Zu viele Schatten, zu viele Verstecke. Der Griff ihrer Waffe war feucht. Sie nahm sie in die linke Hand und wischte die rechte Handfläche an ihrer Jeans ab.
Sie warf einen Blick über die Schulter. Die ferne Tür führte zum Korridor, zur Haustreppe, auf die Straße und zurück in die Sicherheit. Vor ihr lag das Unbekannte. Sie schritt weiter vor, huschte in eine Nische und ließ den Blick schweifen. Regale, Kisten, Verkaufstheken. Keine Bewegungen, keine Geräusche. Nur das Rauschen der Stille.
In gebückter Haltung bewegte sie sich über den Gang. Am Ende war eine Tür, die vermutlich in einen Raum führte, der früher als Lager oder als Aufenthaltsraum für die Angestellten genutzt worden war. Zentimeter für Zentimeter schlich Jessica weiter. Der Türrahmen war zerschlagen und zersplittert. Langsam drehte sie den Knauf. Unverschlossen. Jessica stieß die Tür auf, ließ den Blick durch den Raum gleiten. Es war eine irreale, Übelkeit erregende Szenerie:
Ein großer Raum, vielleicht sieben mal sieben Meter … zu groß, um ihn mit einem Blick erfassen zu können … rechts ein Bett … eine einzige Glühbirne an der Decke… Colleen Byrne an die vier Bettpfosten gefesselt…
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