Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Außenmauer. Rein rechnerisch war sie vermutlich kaum zwanzig Zentimeter vom Tageslicht entfernt. Um die Gefahr hinter sich zu lassen, hätte sie meilenweit laufen müssen.
Jessica folgte den Kabeln, die aus der Rückseite des Monitors ragten. Sie schaute an die Decke und blickte den Flur zu ihrer Linken hinunter.
Die Ungewissheiten der nächsten Minuten und das Unbekannte, das in der Dunkelheit ringsumher lauerte, bargen nur eine einzige Gewissheit: Vorerst war sie auf sich allein gestellt.
91.
Er war wie einer der Statisten gekleidet, die sie am Bahnhof gesehen hatten – rote Mönchsrobe und schwarze Gesichtsmaske.
Der Mönch hatte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst und die Glock an sich genommen. Byrne war auf die Knie gefallen – benommen, aber nicht besinnungslos. Er schloss die Augen und wartete auf den donnernden Schuss, die weiße Unendlichkeit seines Todes, doch es geschah nichts. Noch nicht.
Die Hände hinter dem Kopf und die Finger verschlungen, kniete Byrne jetzt in der Mitte des Raumes. Er schaute auf die Kamera auf dem Stativ vor ihm. Colleen war hinter ihm. Er wollte sich umdrehen, um ihr ins Gesicht zu sehen und ihr Trost zu spenden, doch das Risiko war zu groß.
Als der Mann in der Mönchsrobe ihn berührte, schossen Bilder durch seinen Kopf. Visionen wurden lebendig. Ihm war übel und schwindelig.
Colleen.
Angelika.
Stephanie.
Erin.
Ein Berg zerrissenen Fleisches. Ein Meer von Blut.
»Sie haben nichts für sie getan«, sagte der Mann.
Sprach er über Angelika? Colleen?
»Sie war eine großartige Schauspielerin«, fuhr er fort. Jetzt stand er hinter ihm. Byrne versuchte, seine Position einzuschätzen. »Aus ihr wäre ein Star geworden. Nicht irgendein Star, sondern einer dieser Weltstars, die nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums, sondern auch der Kritiker erlangen. Ingrid Bergmann. Jeanne Moreau. Greta Garbo.«
Byrne versuchte, sich seinen Weg ins Innere dieses Gebäudes in Erinnerung zu rufen. Um wie viele Ecken war er gebogen? Wie weit war die Straße entfernt?
»Als sie starb, gingen Sie einfach zur Tagesordnung über«, fuhr er fort. »Sie gingen einfach zur Tagesordnung über.«
Byrne bemühte sich um klare Gedanken. Keine einfache Sache, denn er ging davon aus, dass eine Waffe auf ihn gerichtet war. »Sie… Sie müssen das verstehen«, begann er. »Wenn der Gerichtsmediziner einen Tod durch eine Überdosis bescheinigt, kann die Mordkommission nichts tun. Dann kann niemand etwas tun. Der Gerichtsmediziner schreibt den Totenschein aus, und die Stadt nimmt es so in die Akte auf. So wurde es gemacht.«
»Wissen Sie, warum sie ihren Namen mit einem k schrieb? Ihr Taufname wurde mit einem c geschrieben. Sie hat die Schreibweise geändert.«
Der Mann hörte Byrne überhaupt nicht zu. »Nein.«
»Angelika ist der Name eines berühmten Kunsttheaters in New York.«
»Lassen Sie meine Tochter gehen«, sagte Byrne. »Sie haben mich.«
»Ich glaube, Sie verstehen die Spielregeln nicht.«
Der Mann in der Mönchsrobe schritt vor Byrne auf und ab. Er hielt eine Ledermaske in der Hand. Sie ähnelte der Maske, die Julian Matisse in Philadelphia Skin getragen hatte. »Kennen Sie Stanislawski, Detective Byrne?«
Byrne wusste, dass er gezwungen war, sich auf das Gespräch einzulassen. »Nein.«
»Er war ein russischer Schauspieler und Lehrer. Er hat 1898 das Moscow Theater gegründet. Er hat die methodische Schauspielerei mehr oder weniger erfunden.«
»Sie müssen das nicht tun«, sagte Byrne. »Lassen Sie meine Tochter gehen. Wir können die Sache beenden, ohne noch mehr Blut zu vergießen.«
Der Mönch klemmte Byrnes Glock einen Moment unter seinen Arm. Er schnürte die Ledermaske auf. »Stanislawski sagte einst: ›Betretet niemals ein Theater mit Dreck unter den Schuhen. Lasst Schmutz und Staub draußen. Gebt eure kleinen Sorgen, Streitereien und kleinen Probleme – alles, was euer Leben ruiniert und eure Aufmerksamkeit von der Kunst ablenkt – mit eurem Mantel an der Garderobe ab.‹« Er hielt kurz inne. »Tun Sie mir den Gefallen und legen Sie die Hände hinter den Rücken«, fügte er hinzu.
Byrne gehorchte. Er saß im Schneidersitz auf der Erde. Er spürte das Gewicht seines rechten Fußknöchels. Vorsichtig hob er den Saum seiner Hose ein Stück hoch.
»Haben Sie Ihre kleinen Sorgen an der Tür zurückgelassen, Detective? Sind Sie für mein Spiel bereit?«
Byrne hob den Saum seiner Hose noch einen Zentimeter an. Seine Finger berührten den Stahl, als
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