Byrne & Balzano 02 - Mefisto
erinnerte Byrne daran, was er in seinem Leben vermisste. An der Tür gab Victoria ihm einen Kuss und sagte, dass sie heute Abend einen Gesprächskreis mit den Mädchen leiten würde, die von zu Hause ausgerissen waren. Die Beratung sei um acht Uhr beendet, und sie wolle ihn um Viertel nach acht im Silk City Diner in der Spring Garden Street treffen, fügte sie hinzu. Sie sagte, sie hätte ein gutes Gefühl. Byrne teilte es. Sie glaubte, dass sie Julian Matisse an diesem Abend finden würden.
Als Byrne nun im Krankenhaus am Bett von Phil Kessler saß, hatte das gute Gefühl sich verflüchtigt. Nachdem Byrne und Kessler ein paar höfliche Worte gewechselt hatten, herrschte bedrückendes Schweigen. Beide Männer wussten, warum Byrne hier war.
Byrne beschloss, die Sache hinter sich zu bringen. Aus zahlreichen Gründen stand ihm nicht der Sinn danach, sich in demselben Raum wie dieser Mann aufzuhalten.
»Warum, Phil?«
Kessler dachte über seine Antwort nach. Byrne wusste nicht, ob die lange Zeitspanne zwischen Frage und Antwort mit den Schmerzmedikamenten oder seinem schlechten Gewissen zu tun hatte.
»Weil es das Richtige ist, Kevin.« Seine Stimme war feucht und leise und kratzig.
»Das Richtige für wen?«
»Das Richtige für mich.«
»Und was ist mit Jimmy? Er kann sich nicht mal verteidigen.«
Das schien Kessler zu begreifen. Wenn er auch nie ein besonders guter Bulle gewesen war, leuchtete ihm dennoch ein, dass jeder einen fairen Prozess verdient hatte. Jeder Mensch hatte das Recht, seinem Ankläger gegenüberzustehen.
»Der Tag, als wir Matisse festgenommen haben. Erinnerst du dich?«, fragte Kessler.
O ja, als wäre es gestern gewesen, dachte Byrne. An dem Tag hielten sich in der Jefferson Street so viele Polizisten auf wie bei einer Versammlung der Polizeigewerkschaft.
»Ich ging in das Gebäude und wusste, dass es falsch war, was ich tat«, sagte Kessler. »Seitdem habe ich damit gelebt. Jetzt kann ich nicht mehr damit leben. Ich will auf keinen Fall damit sterben.«
»Du sagst, Jimmy hätte das Beweisstück dort deponiert?«
Kessler nickte. »Es war seine Idee.«
»Das glaube ich nicht, verdammt.«
»Warum nicht? Glaubst du, Jimmy Purify war ein Heiliger?«
»Jimmy war ein großartiger Cop, Phil. Ein aufrechter Mann. Das hätte er nicht getan.«
Kessler starrte einen Moment in Byrnes Richtung, ohne dass sein Blick ihn traf. Er streckte die Hand nach seinem Wasserglas aus, hatte aber Mühe, den Plastikbecher vom Tablett zu nehmen und zum Mund zu führen. In diesem Augenblick hatte Byrne Mitleid mit dem Mann. Aber er half ihm nicht. Kessler stellte das Glas zurück aufs Tablett.
»Woher hattest du die Handschuhe, Phil?«
Keine Antwort. Kessler starrte ihn nur mit diesen kalten Augen an, aus denen allmählich das Leben wich. »Wie viele Jahre hast du noch, Kevin?«
»Was?«
»Zeit«, sagte er. »Wie viel Zeit bleibt dir noch?«
»Keine Ahnung.« Byrne wusste, worauf Kessler hinauswollte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als es sich anzuhören.
»Nein, das weißt du nicht. Aber ich weiß es, verstehst du? Ich habe noch einen Monat. Wahrscheinlich weniger. Ich werde das erste Laub in diesem Jahr nicht mehr fallen sehen. Oder den Schnee. Ich werde nicht mehr erleben, wenn die Phillies im Entscheidungsspiel eine Niederlage einstecken müssen. Wenn das ganze Land den Tag der Arbeit feiert, habe ich es hinter mir.«
»Was?«
»Mein Leben«, sagte Kessler.
Byrne stand auf. Das führte zu nichts, und selbst wenn, brachte er es nicht übers Herz, diesen Mann noch länger zu quälen. Fest stand auf jeden Fall, dass Byrne Jimmy niemals zugetraut hätte, Beweismaterial zu manipulieren. Jimmy war sein bester Freund gewesen. Er hatte nie einen Menschen kennen gelernt, der ein besseres Gespür für Recht und Unrecht hatte als Jimmy Purify. Jimmy war der Cop, der am nächsten Tag zurückging und die Sandwiches bezahlte, die sie auf Pump bekommen hatten. Jimmy Purify bezahlte seine verdammten Parkscheine.
»Ich war dabei, Kevin. Es tut mir leid. Ich weiß, dass Jimmy dein Partner war. Aber so hat es sich abgespielt. Ich habe nicht gesagt, dass Matisse es nicht getan hat, aber so, wie wir ihn überführt haben, das war nicht korrekt.«
»Du weißt, dass Matisse wieder draußen ist?«
Kessler antwortete ihm nicht. Er schloss kurz die Augen. Byrne wusste nicht, ob er eingeschlafen war oder nicht. Als er ihn wieder anschaute, schimmerten Tränen in seinen Augen. »Im Fall dieses Mädchens haben wir nicht
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