Byrne & Balzano 02 - Mefisto
von Todesangst getrübt … die bedrohlichen Augen in der Dunkelheit über ihr … die Augen von Julian Matisse… Gracies Schreie übertönen alle Geräusche, alle Gedanken, alle Gebete…
Byrne wurde zurückgeworfen, als hätte ihn eine Kugel getroffen. Seine Hand, die auf dem kalten Granitstein lag, schnellte in die Höhe. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Tränen traten ihm in die Augen.
Mein Gott. Die Visionen waren erschreckend realistisch gewesen.
Zutiefst erschüttert schaute er sich auf dem Friedhof um. Er hörte seinen Puls in den Ohren rauschen. Niemand war in der Nähe, niemand beobachtete ihn. Er fand einen kleinen Zipfel Ruhe in seinem Innern, ergriff ihn und hielt ihn fest.
Ein paar unirdische Momente lang war es schwer für ihn, die Wucht seiner Vision mit dem Frieden des Friedhofs in Einklang zu bringen. Er war schweißgebadet. Byrne schaute auf den Grabstein. Er sah vollkommen normal aus. Ein ganz gewöhnlicher Grabstein.
Die brutale Macht war in ihm.
Es gab keine Zweifel.
Die Visionen waren zurückgekehrt.
***
Byrne verbrachte den frühen Abend in der physikalischen Therapie. Auch wenn er es ungern zugab, linderte die Therapie die Schmerzen. Ein wenig zumindest. Er hatte das Gefühl, mehr Mobilität in den Beinen zu haben, ein wenig mehr Beweglichkeit im Lendenwirbelbereich. Aber das würde er der bösen Hexe aus West-Philadelphia niemals verraten.
Ein Freund von ihm besaß ein Fitnessstudio in Northern Liberties. Anstatt nach Hause zu fahren, duschte Byrne in dem Studio und aß dann in einem Schnellimbiss in der Nähe eine Kleinigkeit zu Abend.
Gegen acht Uhr fuhr er auf den Parkplatz neben dem Silk City Diner, wo er mit Victoria verabredet war. Er stellte den Motor ab und wartete. Es war noch früh. Er dachte an den Fall. Adam Kaslov war nicht der Typ eines eiskalten Killers. Und doch gab es nach Byrnes Erfahrungen keine Zufälle. Er dachte an die junge Frau im Kofferraum des Wagens. Byrne hatte sich niemals an die unfassbare Grausamkeit gewöhnt, zu der Menschen fähig waren.
Seine Gedanken wanderten von der jungen Frau im Kofferraum zu der Nacht, als er mit Victoria geschlafen hatte. Es war sehr lange her, dass er die Wogen romantischer Liebe im Herzen gespürt hatte.
Er erinnerte sich an das erste und bisher einzige Mal, dass er so ein Gefühl verspürt hatte – damals, als er seine Frau kennen lernte. Er erinnerte sich deutlich an jenen Sommertag, als er mit ein paar Two-Street-Jungen – Des Murtaugh, Tug Parnell, Timmy Hogan – neben dem 7-Eleven gekifft und Thin Lizzy aus Timmys Gettoblaster gehört hatte. Keiner von ihnen fand Thin Lizzy richtig klasse, aber sie waren Iren, und das bedeutete etwas. The Boys are Back in Town, Jailbreak, Fighting My Way Back. Mann, waren das Zeiten. Die Mädchen mit ihrem dicken Haar und der glitzernden Schminke. Die Jungen mit den schmalen Krawatten, den getönten Sonnenbrillen und den hochgeschobenen Ärmeln.
Aber es hatte niemals ein Two-Street-Mädchen gegeben, das mehr Klasse hatte als Donna Sullivan. Donna trug an jenem Tag ein weißes Sommerkleid mit kleinen Punkten und dünnen Trägern, das bei jedem Schritt wippte. Sie war groß und selbstbewusst und einfach toll. Ihr rotblondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, schimmerte wie Jerseysand in der Sommersonne. Sie ging mit ihrem kleinen Hund Gassi, einem Yorkie namens Brando.
Als Donna zu dem Geschäft kam, hockte Tug bereits auf allen vieren auf der Erde, hechelte wie ein Hund und bettelte, an einer Leine spazieren geführt zu werden. Typisch Tug. Donna verdrehte die Augen, aber sie lächelte. Es war ein mädchenhaftes, neckisches Lächeln, das bewies, dass sie mit den Clowns dieser Welt bestens zurechtkam. Tug rollte sich auf den Rücken und trieb den Spaß auf die Spitze.
Als Donna Byrne anschaute, lächelte sie anders. Es war das Lächeln einer Frau. Es war ein Lächeln, das alles anbot und nichts offenbarte, das tief ins Herz des coolen Kevin Byrne eindrang und ihm das Gefühl verlieh, auf Wolken zu schweben. Ein Lächeln, das sagte: Wenn du der Mann in dieser Jungenclique bist, dann entscheide ich mich für dich.
Mein Gott, lass mich dieses Rätsel lösen, hatte Byrne damals gedacht, als er in das hübsche Gesicht sah, in diese aquamarinblauen Augen, die ihn zu durchbohren schienen. Gott, lass mich das Rätsel um dieses Mädchen lösen.
Tug sah, dass Donna sich für den großen Jungen interessierte. So war es immer. Er stand auf, und jeder andere
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