Byrne & Balzano 1: Crucifix
zwei zerfetzten Fingern, die in die Schusslinie eines M-80 geraten waren, in die Notaufnahme gebracht hatte. Ungefähr einen Monat lang hatte sie sich ab und zu mit Patrick getroffen.
Zu dem Zeitpunkt lernte Jessica Vincent kennen, einen Polizeibeamten des dritten Distrikts. Als Vincent ihr einen Antrag machte und Patrick vor vollendeten Tatsachen stand, zog er sich zurück. Nach der Trennung von Vincent hatte Jessica sich mindestens eine Million Mal gefragt, ob sie die falsche Wahl getroffen hatte.
»Patrick lässt nicht locker, Jess. Er ist noch immer total in dich verknallt«, sagte Angela. Jessicas Cousine neigte ein wenig zu Übertreibungen. »Nichts ist herzzerreißender als ein schöner Mann, der unglücklich verliebt ist.«
Mit dem schönen Mann hatte sie auf jeden Fall Recht. Patrick gehörte zu diesen seltenen dunklen Exemplaren irischer Abstammung – dunkles Haar, dunkelblaue Augen, breite Schultern, Grübchen. Keiner sah in einem weißen Arztkittel besser aus.
»Ich bin verheiratet, Angie.«
»Naja, so richtig nicht.«
»Bestell ihm einen Gruß von mir«, sagte Jessica.
»Sonst nichts?«
»Nee. Das Letzte, was ich im Moment gebrauchen kann, ist ein Mann in meinem Leben.«
»Die traurigsten Worte, die ich je gehört habe«, sagte Angela.
Jessica lachte. »Du hast Recht. Hört sich sehr pathetisch an.«
»Alles okay für heute Abend?«
»Ja, alles klar.«
»Wie heißt sie?«
»Willst du es wirklich wissen?«
»Sag schon.«
»Sparkle Munoz.«
»Wow!«, rief Angela. »Sparkle?«
»Sparkle.«
»Was weißt du über sie?«
»Ich hab mir ein Video von ihrem letzten Kampf angesehen«, erwiderte Jessica. »Puderquaste.«
Jessica gehörte zu dem kleinen, aber stetig wachsenden Kreis von Boxerinnen in Philadelphia. Was als Jux im Polizeisport begann, als Jessica die Pfunde loswerden wollte, die sie während ihrer Schwangerschaft zugenommen hatte, war im Laufe der Zeit zu einer wahren Besessenheit geworden. Bei einer Kampfbilanz von drei Siegen, alle durch K. o., und noch keiner Niederlage, bekam Jessica mittlerweile schon eine recht gute Presse. Die Tatsache, dass sie dunkelrosafarbene Satinhosen mit den Worten JESSIE THE CHAMPION trug, die auf den Hosenbund gestickt waren, schadete ihrem Image nicht.
»Kommst du?«, fragte Jessica.
»Klar.«
»Danke, Angie«, sagte Jessica und schaute auf die Uhr. »Oh, ich muss los.«
»Ich auch.«
»Ich hätte da noch eine Frage, Angie …«
»Schieß los.«
»Warum bin ich eigentlich zur Polizei gegangen?«
»Ganz einfach«, sagte Angela. »Um andere zu belästigen und durch die Stadt rasen zu können.«
»Acht Uhr.«
»Ich werde da sein.«
»Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch.«
Jessica legte auf und schaute sich nach Sophie um. Ihre Tochter war auf die glorreiche Idee gekommen, die Punkte auf ihrem Kleid mit einem orangefarbenen Magic Marker zu verbinden.
Wie zum Teufel sollte sie diesen Tag überstehen?
Jessica zog Sophie ein anderes Kleid an und lieferte sie bei Paula Farinacci ab, die glücklicherweise den Babysitter für das Mädchen spielte. Paula wohnte nur drei Häuser entfernt und gehörte zu Jessicas besten Freundinnen. Als Jessica nach Hause zurückkehrte, war ihr maisfarbenes Kostüm schon ein wenig zerknittert. Bei der Verkehrspolizei war die Dienstkleidung kein Problem. Dort tauchte sie in Jeans und Lederjacke, T-Shirts und Sweatshirts und gelegentlich in einem Hosenanzug auf. Ihr gefiel der Anblick der Glock an der Hüfte ihrer verwaschenen Levi’s. Das ging allen Cops so, wenn sie ehrlich waren. Aber jetzt musste sie ein wenig professioneller aussehen.
Lexington Park grenzte an Pennypack Park und war eine ruhige Wohngegend im Nordosten Philadelphias. Dort wohnten viele Polizisten, was wohl der Grund dafür war, dass es in Lexington Park heutzutage nicht viele Einbrüche gab. Einbrecher schienen eine heftige Aversion gegen Waffen und geifernde Rottweiler zu haben.
Willkommen im Land der Cops.
Betreten auf eigene Gefahr.
Ehe Jessica die Einfahrt erreichte, hörte sie das metallene Grollen und wusste sofort, dass es Vincent war. Drei Jahre bei der Verkehrspolizei hatten ihre Sensibilität für Motoren geschärft. Als Vincents 1969er Shovelhead Harley um die Ecke bog und in der Einfahrt hielt, wusste Jessica, dass ihr feines Gehör noch immer bestens funktionierte. Vincent besaß zwar auch einen alten Dodge-Van, aber wie die meisten Motorradfans saß auch er, sobald das Thermometer über die Null-Grad-Marke kletterte
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