Byrne & Balzano 1: Crucifix
ihrem Lehrer verreist zu sein. Der Bezirksstaatsanwalt musste alle Anklagen fallen lassen.«
»Und wo ist das passiert?«, fragte Buchanan.
»In Ohio. An der Beaumont Academy.«
»Was ist die Beaumont Academy für eine Schule?«
»Eine katholische Mädchenschule.«
Buchanans Blick wanderte von Jessica zu Byrne. Er wusste, was die beiden dachten.
»Wir müssen vorsichtig zu Werke gehen«, sagte Buchanan. »Ein Date mit einem jungen Mädchen ist meilenweit von dem entfernt, was Tessa Wells angetan wurde. Dies ist ein hochsensibler Fall, und ich will nicht, dass unser streitbarer Monsignore mich wegen Belästigung drankriegt. Mit dem ist nicht zu spaßen.«
Buchanan sprach von Monsignore Terry Pacek, dem äußerst sprachgewandten, äußerst medialen und, wie einige behaupten würden, militanten Sprecher der Erzdiözese Philadelphias. Pacek überprüfte alle Medienberichte, in denen es um katholische Kirchen und katholische Schulen ging. Er hatte sich während des Sexskandals katholischer Priester im Jahre 2002 mehrmals mit der Polizei angelegt, und die Medien hatten ausführlich darüber berichtet. Keiner hatte Lust, mit Terry Pacek aneinander zu geraten, wenn er nicht auf der sicheren Seite stand.
Ehe Byrne den Vorschlag machen konnte, Brian Parkhurst beschatten zu lassen, klingelte das Telefon. Es war Tom Weyrich.
»Was gibt’s?«, fragte Byrne.
»Das sollten Sie sich lieber persönlich ansehen«, erwiderte Weyrich.
Die Gerichtsmedizin war in einem grauen Betonklotz in der University Avenue untergebracht. Von den etwa sechstausend Todesfällen, die jedes Jahr in Philadelphia gemeldet wurden, erforderte fast die Hälfte eine Obduktion, und alle wurden in diesem Gebäude durchgeführt.
Byrne und Jessica betraten den großen Obduktionssaal kurz nach achtzehn Uhr. Tom Weyrich trug einen Kittel und sah sehr besorgt aus. Tessa Wells lag auf einem der Stahltische. Ihre Haut war aschfahl; das Tuch war bis zu ihren Schultern hochgezogen.
»Es handelt sich hier um einen Mord«, stellte Weyrich fest, der das Offensichtliche in Worte fasste. »Durch Genickbruch.« Weyrich klemmte ein Röntgenbild in den Leuchtkasten und zeigte den Detectives die Bruchstelle zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel.
Seine erste Einschätzung war richtig. Tessa Wells war durch Genickbruch gestorben.
»Am Fundort?«, fragte Byrne.
»Am Fundort«, bestätigte Weyrich.
»Keine Blutergüsse?«, fragte Byrne.
Weyrich kehrte zu der Leiche zurück und zeigte auf die beiden leichten Quetschungen auf Tessa Wells’ Nacken.
»Dort hat er sie gepackt und ihren Kopf dann nach rechts gerissen.«
»Brauchbare Fingerabdrücke?«
Weyrich schüttelte den Kopf. »Der Täter trug Latexhandschuhe.«
»Was ist mit dem Kreuz auf ihrer Stirn?« Das blaue, kreideartige Material auf Tessas Stirn war verblasst, aber noch sichtbar.
»Ich habe es abgetupft«, sagte Weyrich. »Das Material ist im Labor.«
»Anzeichen für einen Kampf? Wunden, die sie sich zugefügt haben könnte, als sie sich gewehrt hat?«
»Nein.«
Byrne dachte darüber nach. »Wenn sie noch gelebt hat, als sie in den Keller gebracht wurde, warum gibt es dann keine Anzeichen für einen Kampf?«, fragte er. »Warum sind ihre Beine nicht mit Schrammen übersät?«
»Wir haben eine kleine Menge Midazolam in ihrem Organismus gefunden.«
»Was ist das?«, erkundigte Byrne sich.
»Midazolam ist mit Rohypnol vergleichbar. Es taucht im Augenblick immer häufiger auf den Straßen auf, weil es noch farb- und geruchlos ist.«
Jessica hatte von Vincent erfahren, dass die Verwendung von Rohypnol als so genannte »Blind-Date-Vergewaltigungsdroge« abnahm, weil es nun auf eine Weise hergestellt wurde, dass es sich blau färbte, wenn es in eine Flüssigkeit gegeben und das ahnungslose Opfer dadurch gewarnt wurde. Aber die Wissenschaftler schafften es immer wieder, neue Horrordrogen zu entwickeln.
»Sie meinen, unser Täter hat das Midazolam in ein Getränk gemischt?«
Weyrich schüttelte den Kopf. Er schob das Haar auf der rechten Seite von Tessa Wells’ Hals zur Seite. Dort war ein winziger Einstich zu sehen. »Es wurde ihr injiziert. Mit einer kleinen Spritze.«
Jessica und Byrne wechselten einen Blick. Das änderte eine Menge. Eine Droge in einen Drink zu schütten war eine Sache. Ein Irrer, der mit einer Spritze durch die Straßen lief war eine andere. Ein solcher Typ machte sich keine Sorgen, wie er seine Opfer ins Netz locken konnte.
»Ist es schwer, das Zeug richtig zu
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