Byrne & Balzano 1: Crucifix
Jessica.
Byrne ballte seine rechte Hand zur Faust und hätte sie am liebsten in die Windschutzscheibe geschmettert. Schlagartig löste sein Glücksgefühl sich auf.
»Was ist?«, fragte Jessica noch einmal.
Byrne atmete tief ein und langsam aus. »Sie haben ein zweites Mädchen gefunden.«
21.
Dienstag, 8.25 Uhr
B artram Gardens war der älteste Botanische Garten der Vereinigten Staaten. John Bartram, der Gründer, hatte eine Pflanze nach Benjamin Franklin benannt, der ein häufiger Gast des Gartens war. An der Vierundfünfzigsten und der Lindbergh gelegen, beherbergte die über zwanzig Hektar große Anlage ausgedehnte Wiesen mit Blumen, Uferpfade, Feuchtbiotope, Häuser und Farmen. Heute wohnte hier der Tod.
Ein Streifenwagen und ein Zivilfahrzeug parkten in der Nähe des River Trail, als Byrne und Jessica eintrafen. Ein Gebiet rund um eine große Gänseblümchenwiese war bereits abgesperrt worden. Als Byrne und Jessica sich dem Fundort der Leiche näherten, begriffen sie schnell, warum die Tote übersehen worden war.
Die junge Frau lag auf dem Rücken inmitten der Blumenpracht. Die Hände auf dem Unterleib zum Gebet gefaltet, umklammerte sie einen schwarzen Rosenkranz. Jessica erkannte auf den ersten Blick, dass einer der Gebetsabschnitte fehlte.
Sie sah sich um. Der Leichnam lag in der Mitte der Blumenwiese, und außer einem schmalen Pfad zertrampelter Blumen, den vermutlich der Gerichtsmediziner hinterlassen hatte, gab es keine weiteren Spuren. Der Regen hatte vermutlich alles vernichtet. In dem Reihenhaus in der Achten waren Spuren in Hülle und Fülle zu finden gewesen; hier aber gab es nach dem stundenlangen strömenden Regen praktisch keine solchen Hinweise mehr.
Zwei Detectives standen am Rande des Fundorts: ein schlanker Latino in einem teuren italienischen Anzug und ein kleinerer, kräftiger Mann, den Jessica kannte. Der Cop in dem italienischen Anzug schien sich ebenso große Sorgen um seinen Valentino zu machen wie um die Ermittlungen. Auf jeden Fall im Augenblick.
Jessica und Byrne gingen zu der Leiche und betrachteten das Opfer.
Das Mädchen trug einen blau-grünen Schottenrock, blaue Kniestrümpfe und Slipper. Jessica erkannte die Uniform der Regina Highschool, einer katholischen Mädchenschule in der Broad Street in Nord-Philadelphia. Das Mädchen hatte pechschwarzes Haar, das zu einem Pagenkopf geschnitten war. Soweit Jessica erkennen konnte, hatte es ein halbes Dutzend Piercings in den Ohren und eins in der Nase. Keines davon war mit Steinen besetzt. Jessica sah auf den ersten Blick, dass dieses Mädchen an den Wochenenden ihre Zugehörigkeit zur Grufti-Szene demonstrierte, ihren Metallschmuck wegen der strengen Kleiderordnung aber nicht im Unterricht trug.
Jessica schaute auf die Hände der Jugendlichen. Obwohl sie es nicht wahrhaben wollte, musste sie den Tatsachen ins Auge sehen. Die Hände des Mädchens waren zum Gebet gefaltet und zusammengeschraubt.
Als Jessica und Byrne außer Hörweite der anderen standen, sagte sie leise: »Hattest du schon mal mit so einem Fall zu tun?«
Byrne musste nicht lange überlegen. »Nein.«
Die beiden anderen Detectives stellten sich mit ihren großen Golfschirmen zu ihnen.
»Jessica, das sind Eric Chavez und Nick Palladino.«
Die beiden Männer nickten ihr zu. Jessica erwiderte den Gruß. Chavez war der hübsche lateinamerikanische Bursche Mitte dreißig mit langen Wimpern und zarter Haut. Sie hatte ihn gestern im Roundhouse gesehen. Es stand fest, dass er der Modefreak des Dezernats war. Die gab es überall. Diese Cops, die bei einer Beschattung einen dicken Holzbügel mitbrachten, auf den sie ihre Anzugjacke im Fond des Wagens hängen konnten, und ein Badehandtuch, das sie sich in den Hemdkragen stopften, wenn sie Fast Food aßen, das man bei einer Beschattung zu essen gezwungen war.
Nick Palladino war ebenfalls gut gekleidet, aber eher im Stil Süd-Philadelphias: Ledermantel, taillierte Hose, glänzend geputzte Schuhe, ein goldenes Armband mit der Gravur seines Namens. Er war um die vierzig, mit tiefliegenden dunklen Augen und steinernen Gesichtszügen. Sein schwarzes Haar hatte er nach hinten gekämmt. Jessica war Nick Palladino früher mehrmals begegnet. Er hatte mit ihrem Mann beim Rauschgiftdezernat gearbeitet, ehe er in die Mordkommission versetzt worden war.
Jessica reichte beiden Männern die Hand. »Nett, dich kennen zu lernen«, sagte sie zu Chavez.
»Ganz meinerseits«, erwiderte Chavez.
»Schön,
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