Byrne & Balzano 1: Crucifix
ins kleinste Detail geplant.
Bisher wissen wir Folgendes: Er entführt seine Opfer auf der Straße, hält sie eine Weile gefangen und bringt sie dann an einen Ort, an dem er sie tötet. Die Entführungen sind sehr riskant. Sie finden am helllichten Tag und an öffentlichen Orten statt. Wir wissen nicht, wohin der Täter die Opfer zunächst bringt, aber offenbar hat er keine Gewalt angewandt und sie nicht gefesselt, denn es gibt keine Abdrücke von Fesseln an Hand- oder Fußgelenken. Beiden Opfern wurde Midazolam sowie ein weiteres Mittel verabreicht, das zu Muskellähmung führt und das Zusammennähen der Vaginen erleichterte. Dieses Vernähen wurde vor Eintritt des Todes durchgeführt. Der Täter wollte also, dass die Opfer es bewusst miterlebten und spürten.«
»Welche Bedeutung hat das Zusammenschrauben der Hände?«, fragte Nick Palladino.
»Vielleicht legt der Täter sie auf diese Weise ab, weil er einer bestimmten religiösen Ikonographie nacheifert, einer Zeichnung oder Skulptur, auf die er fixiert ist. Das Verschrauben der Hände könnte Parallelen zum Stigma oder zur Kreuzigung selbst auf weisen. Auf jeden Fall hat das alles irgendeine Bedeutung. Es geht hier nicht – oder nicht nur – um die Tötung als solche. Die Tatsache, dass unser Täter sich die Zeit nimmt, diese Dinge zu tun, ist an sich schon bemerkenswert.«
Byrne warf Jessica einen Blick zu, der nicht schwer zu deuten war. Er wollte, dass sie sich einen Einblick in die religiöse Symbolik verschaffte. Sie machte sich eine Notiz.
»Um was geht es unserem Killer, wenn er seine Opfer nicht missbraucht?«, fragte Chavez. »Ich meine, diese Wut, die in ihm steckt – warum keine Vergewaltigung? Ist Rache im Spiel?«
»Wir könnten es mit einer Manifestation von Trauer oder Verlust zu tun haben«, erwiderte Summers. »Es geht dem Täter auf jeden Fall darum, Kontrolle über die Opfer zu gewinnen. Er will sie körperlich, sexuell und emotional beherrschen – drei Bereiche, die gerade jungen Mädchen zu schaffen machen. Vielleicht fiel die Freundin des Täters in diesem Alter einem Sexualverbrechen zum Opfer. Vielleicht eine Tochter oder Schwester. Unser verwirrter Täter glaubt vielleicht, er würde diese jungen Frauen durch das Zusammennähen der Vaginen in einen Zustand der Jungfräulichkeit, der Unschuld zurückversetzen. Er will sie also nicht ihrer Weiblichkeit berauben, ganz im Gegenteil. Er versucht, diese zu schützen, für alle Ewigkeit zu bewahren, wenn man so will.«
Summers zeigte auf einen beleuchteten Ausschnitt des Stadtplans, der etwa zwanzig Straßenzüge umfasste. »Sein Jagdrevier scheint dieser Teil Nord-Philadelphias zu sein. Er ist vermutlich Weißer, zwischen zwanzig und vierzig, kräftig, aber wahrscheinlich nicht fanatisch auf seine Figur bedacht. Nicht der Typ eines Bodybuilders. Vermutlich wurde er im katholischen Glauben erzogen, ist von überdurchschnittlicher Intelligenz und hat mindestens den Highschool-Abschluss. Er fährt einen Van, Kombi oder Geländewagen. Das macht es leichter, die Mädchen in den Wagen zu setzen und wieder herauszuholen.«
»Haben die Tatorte irgendeine Bedeutung?«, fragte Jessica.
»Tut mir Leid, aber dazu kann ich nichts sagen«, erwiderte Summers. »Das Haus in der Achten Straße und die Bartram Gardens, wo die Opfer abgelegt wurden, könnten unterschiedlicher kaum sein.«
»Meinen Sie, er hat die Orte zufällig ausgewählt?«, fragte Jessica.
»Das glaube ich nicht. In beiden Fällen wurden die Opfer sorgfältig abgelegt. Nein, ich glaube nicht, dass unser unbekannter Täter in irgendeiner Beziehung planlos vorgeht. Tessa Wells wurde aus bestimmten Gründen an diese Säule gekettet. Nicole Taylor wurde nicht zufällig in das Blumenfeld gelegt. Diese Orte haben auf jeden Fall eine Bedeutung.
Auf den ersten Blick könnte man glauben, dass Tessa Wells in dieses Reihenhaus in der Achten Straße gebracht wurde, weil der Täter ihren Leichnam verstecken wollte, aber das glaube ich nicht. Denn Nicole Taylor wurde kurz zuvor sorgfältig in das Blumenfeld gelegt. Der Täter hat gar nicht erst versucht, den Leichnam zu verstecken. Dieser Kerl operiert am helllichten Tag. Er will, dass wir seine Opfer finden. Er ist arrogant, und wir sollen glauben, er sei cleverer als wir. Die Tatsache, dass er den Opfern Objekte zwischen die Hände legt, bestärkt diese Theorie. Er fordert uns heraus. Wir sollen verstehen, was er tut.
Soweit wir zum jetzigen Zeitpunkt sagen können, kannten die beiden
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