Byrne & Balzano 3: Lunatic
Teppichen, zwei auf Hartholzböden und einer auf Beton. Byrne schrieb gerade die Zahlen ab, als Josh Bontrager mit dem Mantel über dem Arm hereinkam.
»Ich wollte dir nur ein frohes neues Jahr wünschen, Kevin.« Bontrager ging auf Byrne zu und schüttelte ihm die Hand. Josh Bontrager schüttelte gerne Hände. Byrne hatte dem jungen Mann in der letzten Woche vermutlich dreißig Mal die Hände geschüttelt.
»Wünsch ich dir auch, Josh.«
»Nächstes Jahr schnappen wir den Kerl. Du wirst sehen.«
Amischer Humor, dachte Byrne, aber es war nett gemeint. »Bestimmt.« Byrne nahm den Zettel mit den Nummern der Akten in die Hand. »Könntest du mir noch einen Gefallen tun, bevor du gehst?«
»Klar.«
»Könntest du mir diese Akten besorgen?«
Bontrager legte seinen Mantel ab. »Mach ich.«
Byrne wandte sich wieder den Fotos zu. Auf allen war ein lavendelblauer Gegenstand abgelichtet, der offenbar einem kleinen Mädchen gehört hatte. Eine Haarspange, ein Teddybär, ein Paar Söckchen mit einem schmalen Streifen am Bündchen.
Was hatte das zu bedeuten? Waren auf den Fotos sechs Opfer abgelichtet? Hatte ihre Ermordung etwas mit der Farbe Lavendelblau zu tun? War das die Handschrift eines Serienmörders?
Byrne schaute aus dem Fenster. Der Sturm wütete immer heftiger. Bald würde das Leben in der Stadt zum Erliegen kommen. Von Polizisten wurden Schneestürme meistens begrüßt, denn sie bewirkten, dass der Puls der Stadt langsamer schlug. Dadurch wurden nicht selten Streitereien beigelegt, die mitunter zu tätlichen Angriffen und sogar Mord führten.
Byrne blickte wieder auf die Bilder in seiner Hand. Was immer sie dokumentierten, war bereits geschehen. Die Tatsache, dass ein Kind in die Sache verwickelt war – vermutlich ein kleines Mädchen –, ließ Schlimmes ahnen.
Byrne stand auf, lief durch die Gänge zu den Aufzügen und wartete auf Josh.
76.
I m Keller war es feucht, und es roch muffig. Der Keller bestand aus einem großen und drei kleineren Räumen. In einer Ecke des großen Raumes standen ein paar Holzkisten und eine große Truhe. Die kleineren Räume waren fast wie leer. In einem standen nur eine mit Brettern vernagelte Kohlenrutsche und ein Kohlenkasten. In einem anderen entdeckten Jessica und Nicci ein verrostetes Regal, auf dem ein paar alte grüne Fünf-Liter-Gläser und zwei zerbrochene Krüge standen. Darüber waren poröses ledernes Zaumzeug und ein alter Steigbügel an die Wand genagelt.
An der Truhe hing kein Schloss, doch der breite Riegel war dermaßen verrostet, dass der Deckel sich nicht öffnen ließ. Jessica entdeckte eine Eisenstange. Sie holte aus und schlug dreimal auf den Riegel, bis er aufsprang. Dann öffnete sie die Truhe.
Obenauf lag ein altes Bettlaken. Sie zog es weg. Darunter lagen stapelweise Zeitschriften: Life , Look , Woman’s Home Companion , Collier’s . Der Geruch von verschimmeltem Papier und Mottenkugeln stieg aus der Truhe auf. Nicci schob ein paar Zeitschriften zur Seite.
Darunter lag eine gemaserte Ledermappe, etwa dreißig mal vierzig Zentimeter groß, die mit einer dünnen grünen Schimmelschicht überzogen war. Jessica schlug die Mappe auf. Es lagen nur ein paar Blätter darin.
Sie sah sich die ersten beiden Seiten an. An dem linken Blatt hing ein vergilbter Zeitungsartikel aus dem Inquirer , ein Bericht vom April 1995, in dem es um die Ermordung zwei kleiner Mädchen im Fairmount Park ging. Annemarie DiCillo und Charlotte Waite. Auf der rechten Seite befand sich eine in groben Strichen angefertigte Federzeichnung zweier weißer Schwäne in einem Nest.
Jessica schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. Walt Brigham hatte recht gehabt. Dieses Haus, vielmehr seine Bewohner, hatten etwas mit der Ermordung von Annemarie und Charlotte zu tun. Walt war dem Killer auf der Spur gewesen, war ihm immer näher gekommen. Der Killer war ihm in jener Nacht in den Park gefolgt, genau zu der Stelle, wo die beiden Mädchen getötet worden waren, und hatte ihn bei lebendigem Leibe verbrannt.
Was für eine Ironie.
Walt Brigham hatte sie durch seinen Tod zum Haus des Mörders geführt.
Vielleicht zog Brighams Ermordung die Vergeltung nach sich.
77.
E s waren sechs Akten von Mordfällen. Alle Opfer waren Männer zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Jahren. Drei Opfer waren erstochen worden, einer von ihnen mit einer Gartenschere. Zwei Männer waren erschlagen, einer überfahren worden, vermutlich von einem Van. Alle hatten in Philadelphia gelebt. Vier Weiße, ein
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