Byrne & Balzano 4: Septagon
Dezember vergangenen Jahres ist ein sechzehnjähriges Mädchen aus Chicago verschwunden. Ihr Name war Elise Beausoleil. Sie hatte einer ihrer Freundinnen erzählt, dass sie nach Philadelphia gereist sei. Ihr Vater, dem der multinationale Konzern Sunshine Technologies gehört und der zufällig mit dem Gouverneur von Illinois Golf spielt, rief diesen an. Der Gouverneur wiederum rief einen Freund an, und zwar den Gouverneur unseres schönen Bundesstaates, der wiederum Druck beim Bürgermeister und beim Polizeipräsidenten gemacht hat, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um das Mädchen zu finden. Erinnert ihr euch an den Fall?«
Die Detectives wechselten Blicke und zuckten mit den Schultern. Die Mordkommission war eine ziemlich isolierte Abteilung. Wenn es keine Leiche gab, bekamen sie kaum etwas mit.
»Jedenfalls, die Detectives von der Vermisstenstelle fanden heraus, dass Elise einen Teilzeitjob angenommen hatte und für eine Menschenrechtsorganisation eine Umfrage machte. Wir haben den Chef und ein paar Mitarbeiter dieser Organisation vernommen. Sie konnten sich an Elise erinnern und haben die Strecke herausgesucht, die sie damals abgeklappert hatte. Sie sagten, das Mädchen sei nach Neujahr nicht mehr aufgetaucht. Ihre Kollegen gingen davon aus, dass sie nach Hause zurückgekehrt war. Ihr Vater engagierte Privatdetektive, doch sie fanden nichts heraus.«
»Waren die aus Philadelphia?«, fragte Byrne.
»Zwei aus Philly, zwei aus Chicago.«
»Wann hat er sie engagiert?«
»Im März.«
»Hatte das FBI die Vermisstenmeldung dieses Mädchens auf seiner Website veröffentlicht?«
»Ja.« Park griff in eine Akte und zog ein Foto heraus. »Das ist sie.«
Er legte das Foto auf den Schreibtisch. Die junge Frau mit den mandelförmigen Augen, dem kurzen dunklen Haar und dem langen, schmalen Hals war eine wahre Schönheit.
Die Detectives schauten sich die Strecke an, die Elise bei ihrer Umfrage gegangen war.
»Wie intensiv wurde nach ihr gesucht?«, fragte Jessica.
»Sehr intensiv. Man hatte eine Riesensuchaktion gestartet und an mindestens sechshundert Türen geklopft.«
»Und Spuren gab es keine?«
»Keine einzige.«
Der Sammler , dachte Jessica und erkannte bestürzt, dass dieser Spitzname sich bereits in ihrem Bewusstsein verankert hatte. Sie schaute in Elise Beausoleils schöne dunkle Augen und fragte sich, ob die letzte Person, die dieses Mädchen gesehen hatte, jener Mann war, den sie und ihre Kollegen nun so verzweifelt suchten.
60.
S WANN SASS AM K ÜCHENTISCH . Er war noch immer verkleidet.
Als er nach Hause zurückgekehrt war, hatte er ein paar Häuser weiter einen FedEx-Transporter gesehen. Wahrscheinlich hielt der Wagen gleich auch bei ihm. Swann wartete auf eine Lieferung antiker bronzener Schubladengriffe, die er bei eBay sehr günstig ersteigert hatte.
Vor ein paar Minuten hatte er im Fernsehen das Phantombild eines Mannes gesehen, der wegen der versuchten Entführung einer jungen Frau in der Nähe des Tacony Parks gesucht wurde. Der Mann sah ihm nicht ähnlicher als der Mann im Mond. Die Medien bezeichneten ihn als »den Sammler«. Swann war mit beiden Entwicklungen sehr zufrieden.
Er hoffte nur, dass der junge Polizist nicht unter Albträumen litt.
Jetzt, da das Ende nahte, das große Finale, schweiften seine Gedanken zurück zu dem Tag, als alles begonnen hatte. Soweit er sich erinnerte, war es ungefähr zu dieser Tageszeit gewesen, kurz bevor die Dämmerung hereinbrach, zwischen seiner Ankunft zu Hause und seinem ersten Aperitif. Er hatte sich gerade den Film Magic Bricks auf dem Speicher angesehen, als es an der Haustür klingelte.
Er dachte an Elise, die genau an diesem Tisch gesessen hatte. Sie war so fröhlich und lebhaft, eine Elfe mit knabenhaftem Körper und kurz geschnittenem Haar. Elise stammte aus wohlhabender Familie, da war er sicher. Die Qualität ihrer Stiefel und des Schmucks bewiesen es ebenso wie ihre guten Manieren und ihre Ausdrucksweise. Sie hatte etwas Aristokratisches, wenn auch nicht von Geburt an. Ihre Eltern mussten es zu etwas gebracht haben. Elise war an jenem Tag durch das große Zimmer gelaufen und hatte ein paar seiner Kunstgegenstände in die Hand genommen. Sie schien sich besonders für das Tiffany-Kristall und die Reiseuhr aus Messing zu interessieren, die zu seinen Lieblingsstücken gehörten. Das rührte ihn. Ihr gefiel auch ...
Es klingelte an der Tür. Das musste der Bote von FedEx sein.
Swann durchquerte die Eingangshalle und spähte durch die
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