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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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trägt ein zerrissenes pinkfarbenes Kleid, das am Saum beschmutzt ist. Auch Knie und Ellbogen der Puppe sind schmutzig.
    Plötzlich weiß Eve, wer sie ist und was sie getan hat. Die Puppe gehört ihr. Es ist eine Crissy-Puppe, an der sie als Kind besonders gehangen hat. Sie, Eve, ist von zu Hause ausgerissen. Sie ist vierzehn Jahre alt und ohne Geld und irgendeinen Plan in die Stadt gekommen.
    Auf der Mauer zu ihrer Linken tanzt ein Schatten. Sie dreht sich danach um und sieht einen Mann, der sich rasch nähert. Im Licht des Mondes bewegt er sich wie eine heiße Windbö auf sie zu.
    Jetzt ist er hinter ihr. Sie weiß, was er den anderen angetan hat. Sie weiß, was er ihr antun wird.
    »Venga aqui!«, hört sie die dröhnende Stimme hinter sich, dicht an ihrem Ohr.
    Angst und Übelkeit steigen in ihr auf. Sie kennt die vertraute Stimme. Sie rauscht wie ein dunkler Tornado durch ihr Herz. »Venga, Eve! Ahora!«
    Sie schließt die Augen. Der Mann reißt sie herum und schüttelt sie heftig. Er wirft sie zu Boden, doch sie berührt den dampfenden Asphalt gar nicht. Stattdessen fällt sie hindurch, stürzt im freien Fall kopfüber durch den leeren Raum, während die bunten Lichter der Stadt durch ihr Hirn wirbeln.
    Sie fällt durch eine Decke auf eine schmutzige Matratze. Ein paar wundervolle Augenblicke lang ist die Welt still. Rasch kommt Eve wieder zu Atem und hört die Stimme eines jungen Mädchens, das im Zimmer nebenan ein bekanntes Lied singt. Es ist ein spanisches Wiegenlied: A La Nanita Nana.
    Sekunden später wird die Tür aufgerissen. Ein leuchtend rotes Licht überschwemmt den Raum. Eine schrille Sirene hallt durch Eves Kopf.
    Und der wahre Albtraum beginnt.
    Eve stieg aus der Dusche, trocknete sich ab, ging ins Schlafzimmer, öffnete den Schrank und nahm den Aluminiumkoffer heraus. In dem Koffer lagen vier Waffen in Schaumstoffeinsätzen. Alle Waffen waren sorgfältig gepflegt und geladen. Sie wählte eine Glock .17 aus, die sie in einem Chek-Mate-Sicherheitsholster an der rechten Hüfte trug, sowie eine Beretta .21, die sie in einem Apache-Knöchelholster mit sich führte.
    Sie zog sich an, knöpfte den Blazer zu und betrachtete sich im großen Wandspiegel. Es gab kein Zurück mehr. Um kurz nach ein Uhr nachts betrat Eve Galvez das Treppenhaus.
    Sie drehte sich um, und als sie in ihre fast leere Wohnung schaute, erfüllte dumpfe Melancholie ihr Inneres. Einst hatte sie so viel besessen ...
    Eve schloss die Tür hinter sich ab und lief den Gang hinunter. Ein paar Minuten später durchquerte sie die Eingangshalle, passierte die Glastüren und trat hinaus in den warmen Abend Philadelphias.
    Zum letzten Mal.

5.
    D IE K RIMINALTECHNIK BEFAND sich an der Ecke Achte und Poplar Street, nur wenige Querstraßen vom Roundhouse entfernt. Das dreitausendsechshundert Quadratmeter große Gebäude war für die Analyse aller labortechnisch relevanten Beweismittel zuständig, die das Philadelphia Police Department im Laufe einer Ermittlung sammelte. In den verschiedenen Laboren wurden in drei großen Bereichen Analysen durchgeführt: materielle Beweismittel wie Farbe, Fasern und Schussrückstände; biologische Beweismittel wie Blut, Sperma und Haare; sonstige Beweismittel wie Fingerabdrücke, Dokumente und Schuhabdrücke.
    Die Kriminaltechnik des Philadelphia Police Departments war ein selbstständiger Dienstleistungsbetrieb, der über zahllose hochmoderne Testgeräte verfügte, um Analysen und Untersuchungen vorzunehmen.
    Sergeant Helmut Rohmer war der unbestrittene Herrscher der Dokumentenabteilung. Er war Anfang dreißig, gut eins neunzig groß und hundertfünfundzwanzig Kilo schwer – ein Riese, der fast nur aus Muskeln bestand. Er hatte kurz geschorenes, stark blondiertes Haar, das beinahe weiß war. Beide Arme waren mit kunstvollen Tattoos verziert, wobei es sich größtenteils um Varianten roter Rosen, weißer Rosen und des Wortes »Rose« handelte. Blumen und Blütenblätter schlängelten sich über Rohmers gewaltige Armmuskeln. Auf Polizeifeten oder bei Treffen des Polizeisportvereins, wo Helmut Rohmer regelmäßig trainierte, hatte ihn noch nie jemand mit einer Person namens Rose oder Rosie oder Rosemary gesehen. Daher wurde dieses Thema peinlich vermieden. In der Regel trug Rohmer schwarze Jeans, Doc Martens und ärmellose schwarze Sweatshirts. Nur nicht, wenn er vor Gericht erschien. Dann trug er einen abgetragenen marineblauen Anzug mit schmalem Revers, der aus der Zeit stammte, als REO Speedwagon noch die

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