Byrne & Balzano 4: Septagon
Charts gestürmt hatte.
Hier war kein Platz für Kugelschreiberetuis oder schmuddelige Laborkittel. Helmut Rohmer sah wie ein Roadie von Metallica aus oder wie die Comic-Zeichnung eines Hells Angels von Frank Miller. Aber wenn der Sergeant sprach, klang er wie Johnny Mathis. Er bestand darauf, »Hell« genannt zu werden, und unterzeichnete sogar interne Mitteilungen damit. Niemand wagte, Einwände zu erheben.
»Das ist eine sehr verbreitete Ausgabe der Neuen Oxford-Bibel«, sagte Hell nun. »Man kann sie überall kaufen. Ich habe dieselbe Ausgabe zu Hause.« Das Buch lag auf dem glänzenden Stahltisch und war auf der Seite aufgeschlagen, auf der die Verlagsangaben standen. »Dieses Exemplar hier wurde Anfang der Siebziger gedruckt, aber man findet es in fast jedem Secondhand-Buchladen im Lande, in Universitätsbuchhandlungen und in Buchläden, die Bücher zum halben Preis anbieten. Überall.«
»Meinen Sie, man könnte irgendwie herausfinden, wo diese Bibel gekauft wurde?«, fragte Jessica.
»Ich fürchte nein.«
Das Cover des Buches war auf Fingerabdrücke untersucht worden, doch man hatte keine gefunden. Nun wartete die langwierige und sehr viel schwierigere Aufgabe, die mehr als eintausendfünfhundert Seiten der Bibel nach solchen Spuren zu überprüfen.
»Was halten Sie von dieser Shiloh-Botschaft?«, fragte Jessica.
Hell presste einen Zeigefinger auf die Lippen. Jessica sah zum ersten Mal, dass seine Fingernägel sorgfältig manikürt waren. Die glänzend polierte Oberfläche schimmerte im grellen Licht der Neonröhren in geraden, silbernen Linien. »Ich habe ›Shiloh‹ in die Datenbanken und Suchmaschinen eingegeben. In den Datenbanken fand sich nichts Interessantes, aber bei Google und Yahoo hatte ich natürlich eine ganze Menge Treffer.«
»Zum Beispiel?«, fragte Jessica.
»Viele hatten mit diesem Jugendfilm von 1996 zu tun. Rod Steiger spielte da mit und der Typ, der in Kaltblütig dabei war. Wie hieß der gleich ...?«
»Robert Blake?«, fragte Jessica.
»Nein. Der andere, der mit dem hellen Haar. Der Betrüger, der den Scheck hat platzen lassen.«
»Scott Wilson«, sagte Byrne.
»Richtig.«
Jessica warf Byrne einen Blick zu, doch der reagierte nicht. Manchmal staunte sie über Kevin Byrnes breit gefächertes Wissen. Bei einer Wette in einer Kneipe hatte er einmal das gesamte Schallplattenverzeichnis der Eagles heruntergerasselt, und dabei war er kein allzu großer Fan dieser Band. Er stand mehr auf Thin Lizzy, The Corrs und Van Morrison – ganz zu schweigen von seinen umfassenden Kenntnissen und seiner beinahe sklavischen Hingabe zu altem Blues. Andererseits hatte Jessica ihn einst dabei ertappt, wie er an einem Tatort die erste Strophe von La Vie en Rose sang. Auf Französisch. Und Kevin Byrne sprach kein Französisch.
» Shiloh war ein ziemlich schmalziger Film, aber trotzdem irgendwie klasse. Man muss sich richtig auf ihn einlassen, um seinen Wert zu erkennen. Wir haben ihn uns vor ein paar Monaten ausgeliehen. Eine zerkratzte DVD, die mehrmals stehen blieb. So was macht mich wahnsinnig. Hoffentlich setzt sich bald die Blu-ray-Technologie durch. Aber meine Tochter fand den Film trotzdem toll.«
Seine Tochter?, dachte Jessica. Könnte das die legendäre Rose sein? »Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Tochter haben«, sagte sie, um mehr zu erfahren.
Hell strahlte. Eine Sekunde später hatte er seine Brieftasche in der Hand, klappte sie auf und zog ein Foto heraus, auf dem ein reizendes, kleines blondes Mädchen zu sehen war, das auf einer Parkbank saß und einen schwarzen Labrador-Welpen so fest umarmte, als wollte es ihn zerquetschen. Vielleicht ging die Kleine mit ihrem Vater zum Krafttraining.
»Das ist Donatella«, sagte Hell. »Mein Ein und Alles.«
Auch keine Erklärung für Rose, dachte Jessica. »Ein süßes Püppchen.«
Byrne schaute auf das Foto und lächelte. Jessica wusste, dass Kevin Byrne trotz seines coolen Gehabes alle kleinen Mädchen dieser Welt ins Herz geschlossen hatte. In seiner Brieftasche steckten immer mehrere Fotos von seiner Tochter Colleen.
Hell schob das Foto wieder in die Brieftasche, die sofort in seiner Hosentasche verschwand. »In der Bibel gibt es natürlich auch diesen Hinweis auf Shiloh.«
»Um was geht es da?«, fragte Jessica.
»Wenn meine Erinnerung mich nicht im Stich lässt, war Shiloh der Name eines Schreins, den Moses in der Wildnis errichtet hat.« Hell blätterte in seinem Notizheft. Jessica sah, dass auf dem Rand Rosen gemalt waren.
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