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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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Gefühl.« Er hatte einen Akzent, der vermuten ließ, dass er in den reichen Vororten im Westen Philadelphias lebte, aber nicht von Geburt an. »Ich spreche über Gefühle«, fügte er hinzu. »Welche Gefühle löst der Vorfall bei Ihnen aus?«
    »Okay.« Eve ließ sich darauf ein. »Ich spüre ... Wut .«
    »Schon besser. Wut auf wen?«
    »In erster Linie auf mich selbst, weil ich mich in diese Situation gebracht habe. Zugleich aber auch Wut auf die ganze Welt.«
    Eines Abends war Eve nach der Arbeit alleine nach Old City gefahren. Um sich umzuschauen. Wieder einmal. Mit einunddreißig gehörte sie schon zu den älteren Frauen im Club, doch mit ihrem dunklen Haar, den dunklen Augen und der tollen Figur, die sie ihren regelmäßigen Pilates-Übungen verdankte, interessierten sich noch viele Männer für sie. Schließlich aber war es ihr dort zu laut und zu unruhig geworden. Sie nahm an der Bar zwei Drinks – die trank sie immer, auch wenn es ihr nicht gefiel – und trat hinaus in die Dunkelheit. Später am Abend suchte sie noch die Bar im Omni Hotel auf und machte den Fehler, sich von dem falschen Mann einen Drink spendieren zu lassen. Wieder einmal. Das Gespräch war langweilig, und der Abend dehnte sich endlos. Schließlich entschuldigte sich Eve und sagte, sie müsse sich kurz frisch machen.
    Als sie das Hotel ein paar Minuten später verließ, sah sie ihn auf dem Bürgersteig stehen. Er folgte ihr fast vier Häuserblocks die Vierte Straße hinunter, wobei er die Entfernung allmählich verringerte und sich immer wieder in der Dunkelheit versteckte.
    Das Glück war auf ihrer Seite – obwohl Glück in Eve Galvez’ Leben eine sehr geringe Rolle spielte –, denn als der Mann sich weit genug genähert hatte, um sie zu packen, fuhr langsam ein Streifenwagen vorbei. Eve winkte die Polizisten heran. Augenblicke später war der Mann verschwunden.
    Das war verdammt knapp gewesen, und Eve hasste sich dafür. Sie war sonst cleverer. Zumindest wollte sie das glauben.
    Und jetzt saß sie in der Praxis des Therapeuten, und er drängte sie zu antworten.
    »Was glauben Sie, wollte er von Ihnen?«, fragte er.
    »Er wollte mich vögeln«, sagte Eve nach kurzem Zögern.
    Das Wort hallte durchs Zimmer. So war es immer in guter Gesellschaft.
    »Woher wissen Sie das?«
    Eve lächelte. Nicht das Lächeln, das sie in ihrem Job auflegte oder das sie Freunden und Kollegen schenkte, und auch nicht das Lächeln, das sie auf der Straße zeigte. Dies war ein anderes Lächeln. »Frauen wissen so was.«
    »Alle Frauen?«
    »Ja.«
    »Junge und alte?«
    »Und alle dazwischen.«
    »Ich verstehe«, sagte er.
    Eve schaute sich in dem kleinen Raum um. Die Praxis befand sich in einem renovierten zweistöckigen Haus in der Chestnut Street zwischen der Zwölften und Dreizehnten. Im Erdgeschoss gab es drei kleine Räume einschließlich eines kleinen Wartezimmers mit verblichenen Ahornböden und einem offenen Kamin samt Zubehör aus Messing. Auf dem Beistelltisch aus Rauchglas lagen neue Exemplare von Psychology Today , In Style und People . Zwei Glastüren führten in ein als Büro genutztes Schlafzimmer, das in einem pseudo-europäischen Stil eingerichtet war.
    Als Eve noch auf der Couch therapiert wurde, hatte sie alle möglichen Mittel bekommen – Clonazepam, Diazepam, Flurazepam. Nichts hatte geholfen. Schmerzen, wie sie beginnen, wenn die Kindheit allmählich zu Ende geht, können nicht gelindert werden. Wenn die Nacht dem Morgen weicht, tritt man schließlich hinaus in die Dunkelheit, ob man bereit ist oder nicht.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich möchte mich für meine ordinäre Ausdrucksweise entschuldigen. Das war unhöflich.«
    Er machte ihr weder Vorhaltungen, noch nahm er die Entschuldigung an. Das hatte sie auch nicht erwartet. Stattdessen schaute er auf seinen Schoß, überflog ihre Akte und blätterte ein paar Seiten um. Da stand alles. Das war einer der Nachteile, wenn man einem Gesundheitssystem unterworfen war, das jeden Arzttermin, jedes Rezept, jede Physiotherapie, alle Röntgenstrahlen, Schmerzen, Leiden, Diagnosen und Behandlungen erfasste.
    Wenn Eve etwas gelernt hatte, dann die Einsicht, dass es zwei Gruppen von Menschen gab, denen man nichts vormachen konnte: Ärzte und Banker. Beide wussten, wenn etwas aus dem Gleichgewicht geraten war.
    »Haben Sie an Graciella gedacht?«, fragte der Therapeut.
    Eve versuchte, sich zu konzentrieren und ihre Gefühle im Zaum zu halten. Sie kämpfte gegen die Tränen an, doch sie waren

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