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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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dunkler Zimmer und zischendem Wispern, einem Ort, wo Gespenster hinter den Holzlatten lauerten und Schatten über die Gänge huschten. Joseph hatte als Kind keine Spielkameraden, doch er war niemals allein.
    Da Joseph ohne Mutter aufwuchs, war Odette, die Assistentin seines Vaters, die einzige Frau in seinem Leben. Odette kochte für ihn, badete ihn und half ihm bei den Schulaufgaben. Und Odette war es auch, die seine Begabungen erkannte.
    Als Junge bewies Joseph Swann, dass er viel geschickter war als andere Kinder seines Alters – sogar viel fingerfertiger, als sein Vater es als Kind gewesen war. Schon als Dreijähriger war er allein durch Beobachtung in der Lage, Münzentricks vorzuführen: Münzen durch die Hand schieben, vertauschen und verschwinden lassen. Besonders geschickt war er beim Tourniquet , dem klassischen französischen Drop oder Verschwindetrick. Schon als Vierjähriger konnte er mit der Okito-Box umgehen, einer kleinen Messingdose speziell für Münzentricks. Wenn man ihm ein Bridgeblatt gab, das in seine kleinen Hände passte, konnte er alle geläufigen Kartentricks mit höchster Geschicklichkeit vorführen: Falschmischen, Hindumischen, Dublieren, Falschabheben.
    Als Karl Swann in diesen frühen Jahren versuchte, sich weiterhin in der sich wandelnden Welt der Zauberei zu behaupten, verfinsterte der Wahnsinn immer mehr seinen Verstand. Anstatt stolz auf seinen Sohn zu sein, entwickelte er eine tiefe Abneigung gegen ihn, eine Bitterkeit, die sich sogar in Misshandlungen äußerte, doch schon bald etwas anderem wich.
    Einem Gefühl der Angst.
    1975
    Während einer kurzen Tournee durch Kleinstädte im Süden Ohios sperrte Karl Swann seinen fünfjährigen Sohn eines Nachts in den verbeulten Transporter, mit dem sie unterwegs waren. Damit der Junge sich die Zeit vertreiben konnte, gab Karl ihm ein Puzzle, das aus zweihundertfünfzig Teilen bestand. Es war ein ziemlich schwieriges Puzzle, denn auf dem fertigen Bild waren zwei Adler hoch oben in den Wolken zu sehen. Als Karl acht Minuten später zurückkehrte, um ein Requisit aus dem Wagen zu holen, das er vergessen hatte, war das Puzzle fertig. Joseph starrte gelangweilt aus dem Fenster.
    1976
    Mit dem Erfolg der Magic Show , einem Broadway-Musical mit Zaubertricks, in dem ein großspuriger, alternder Alkoholiker die Hauptrolle spielte – ein Mann also, der sich nicht sehr von Karl unterschied –, veränderte sich die Welt der Bühnen- und Salonzauberei für immer. Jetzt verlangte das Publikum Darbietungen nach dem Vorbild der großen Shows in Las Vegas. Für Karl, den Great Cygne, wurden die Bühnen kleiner und die Wege länger.
    Als Joseph sieben Jahre alt war, stand fest, dass er trotz seiner beinahe übernatürlichen Fähigkeiten und seiner wichtigen Rolle bei den Vorstellungen seines Vaters kein Interesse hatte, in Karls Fußstapfen zu treten. Sein wahres Interesse galt Rätseln – Worträtsel, Puzzles, Kryptogramme, Zahlenrätsel, Anagramme, Bilderrätsel. Wenn es ein Labyrinth gab, fand Joseph den Eingang und den Ausgang. Schlussfolgerung und Wahrheit, Täuschung und Paradox – das waren seine Leidenschaften.
    Josephs Talent, Rätsel zu lösen, war ebenso offensichtlich wie die geistige Dunkelheit, in die sein Vater immer tiefer versank. Karl hielt sich oft ganze Nächte im Keller von Faerwood auf. Er errichtete Trennmauern, schuf neue Räume und mauerte neue Wände, was seine zunehmende Schizophrenie und den Verfall seines Verstandes widerspiegelten. Einmal verbrachte er sechs Wochen damit, eine Zauberkiste zu bauen, um sie dann auf der Straße vor dem Haus zu verbrennen.
    Ehe Joseph zu Bett ging, spielte Karl ihm jeden Abend einen alten französischen Film mit dem Titel Magic Bricks vor. Dieser 1908 gedrehte Stummfilm war nur drei Minuten lang. Er handelte von zwei Zauberern, die Menschen verschwinden und wieder auftauchen ließen und dabei Kisten, Steine und andere Requisiten benutzten, meist mit relativ einfachen Effekten.
    Als Joseph zehn Jahre alt war, kannte er jeden Trick dieses Stummfilms, jedes einzelne nachkolorierte Bild, und er durchschaute die geschickte Kameraführung.
    Er schaute sich den Film fast tausendmal an.
    1979
    Karl Swann betrachtete sich im vergoldeten Standspiegel. Er und Joseph waren in einem schäbigen Hotel in einer kleinen Stadt in Bell County, Texas, abgestiegen.
    »Pass auf!«, rief Karl.
    Mit einem eleganten Schwung seines Umhangs drehte er sich um, streckte die rechte Hand aus und zauberte im Nu eine

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