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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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blendete ihn im ersten Augenblick das Tageslicht.
    In den nächsten sechs Wochen verfolgte Joseph die beiden Männer nach Schulschluss und schrieb sich alles auf, was er über ihre Gewohnheiten und ihren Tagesablauf herausfinden konnte. Als sich in ihren Häusern und Geschäften niemand aufhielt, machte er sich mit den Schlössern vertraut. Ende Februar fand Wilton Coles Frau ihren Mann auf der untersten Stufe des Treppenhauses tot auf. Offenbar war er die Treppe hinuntergestürzt und hatte sich das Genick gebrochen. Marchand Decasse, dem ein kleines Reparaturgeschäft für Elektrogeräte gehörte, wurde drei Tage später gefunden. Er hatte in einem kleinen tragbaren Fernsehgerät ein Kabel falsch angeschlossen und war durch einen Stromschlag getötet worden.
    Joseph bewahrte die Zeitungsberichte zwei Jahre lang unter seinem Kopfkissen auf.
    Great Cygne führte den Zaubertrick mit dem singenden Jungen niemals live vor einem Publikum auf. Stattdessen verkaufte er die Zeichnungen und Skizzen an Zauberer in aller Welt und versprach jedem die Exklusivrechte an dem Trick. Als der Schwindel aufflog, wurde Great Cygne zu einem Außenseiter, den niemand mehr auf einer Bühne sehen wollte. Fortan lebte Karl Swann wie ein Einsiedler. Für ihn begann die letzte Etappe.
    Er verließ Faerwood nie wieder.
    1987
    Es war für Joseph Swann – wie auch für Faerwood – das Jahr der Veränderungen. Während das Haus von außen allmählich verfiel, wurde es von innen völlig neu gestaltet, doch Joseph wurde nicht in die Umbauarbeiten mit einbezogen. Der Junge betrat das Haus durch die Küche und nahm dort seine Mahlzeiten ein. Er machte im Esszimmer seine Schulaufgaben und schlief in einem der zahlreichen Räume des verwinkelten Kellers auf einer Pritsche. Monatelang dröhnte unerträglicher Lärm durchs Haus, als Karl sägte und bohrte, schmirgelte und nagelte, Wände abriss und neue hochzog.
    Im September war es endlich so weit. Die Planen und provisorischen Trennwände wurden entfernt. Was Joseph daraufhin zu sehen bekam, begeisterte und verwirrte ihn zugleich. Wo einst eine Wand gestanden hatte, war jetzt ein Spiegel, eine silberne Glaswand, die sich auf einer Mittelachse drehte. Schränke öffneten sich in andere Räume. In einem der Schlafzimmer ließen sich die Wände durch das Drücken eines Schalters bewegen und bildeten einen neuen Raum. Vor mattierten Fensterscheiben konnte man elektrisches Licht aufleuchten lassen, wodurch man fast den Eindruck bekam, an einem Meeresstrand zu stehen. Dazu erklang – genau hinter der Glasscheibe – von einem Tonband das Rauschen sich sanft brechender Wellen. In einem anderen Raum im ersten Stock öffnete die Bewegung einer Lampe eine Klappe im Boden. Und wenn man einen Wandleuchter drehte, glitt die Wandvertäfelung nach unten und enthüllte ein rundes Fenster.
    Faerwood war ein Spiegelbild der Psychose, die Karl Swanns Geist folterte. An jenem Tag stand Karl oben auf der Treppe, und sein Sohn sah, dass er zum ersten Mal seit Jahren wieder sein Bühnenkostüm trug. Karl Swann sah aus wie ein Geist. Die bleiche Haut und das pechschwarze Haar verliehen ihm das Aussehen einer wandelnden Leiche. So etwas hatte der junge Joseph bisher nur in Horrorfilmen gesehen.
    Als Joseph an seinem achtzehnten Geburtstag mit der Zulassung fürs College nach Faerwood zurückkehrte, entdeckte er seinen Vater auf dem Speicher. Er hing tot an einem Dachbalken. Karl Swann hatte dieselbe Schlinge benutzt wie Artemus Coleridge fast achtzig Jahre zuvor.
    Joseph schnitt das Seil durch und stieg über eine verborgene Treppe in die Küche hinunter.
    Faerwood gehörte jetzt ihm.
    Es stellte sich heraus, dass die Lehrjahre bei Karl Swann, in denen Joseph gelernt hatte, perfekte Zauberkisten zu bauen, für den jungen Mann von großem Nutzen waren. Nach dem Collegeabschluss eröffnete er ein kleines Geschäft, in dem er Einzelanfertigungen von Schränken und Möbeln zum Kauf anbot. Er arbeitete mit den besten Materialien und verließ seine Werkstatt manchmal wochenlang nicht. Schon bald stellte er fest, dass er von der Möbeltischlerei ebenso besessen war wie von Rätseln. Mehr noch, die Feinheiten des Tischlerhandwerks – von Schwalbenschwänzen über Nut und Feder bis zu Dübelverbindungen – nährten seine Leidenschaft für das Lösen schwieriger Rätsel. Und doch wusste Joseph die ganze Zeit, dass ein Meisterwerk in ihm schlummerte, eine großartige und schreckliche Schöpfung, die noch auf ihre Entstehung

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