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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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fragte Lilly.
    Alle schauten sie an und warteten – bekifft und verwundert, als wollten sie sagen: »Warum nicht?«
    Lilly griff in die Tasche und zog das Foto heraus. Es war schon ziemlich zerknittert und ein wenig unscharf. Sie strich es auf dem Sitz glatt. »Ist jemand von euch schon mal da gewesen?«
    Sie ließ das Foto herumgehen. Alle machte große Augen, als sie die riesige Villa sahen.
    »Die Bude ist ja obergeil. Wer wohnt denn da?«, fragte Thom. »Die Addams Family?«
    Thom kam aus Akron, Ohio. Er war süß – braunes gelocktes Haar, lange Wimpern und eine Stupsnase. Er erinnerte sie an Frodo, aber ohne die großen behaarten Füße. In einem anderen Leben hätte sie sich von ihm anbaggern lassen.
    »Weiß ich nicht«, sagte Lilly. Sie hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit langer Zeit nicht gelogen zu haben. »Echt, ich weiß es nicht.«
    Den Rest des Vormittags hing sie an der Greyhound Station an der Ecke Zehnte und Filbert herum. Sie schnorrte eine Tasse Kaffee von zwei Jugendlichen aus Syracuse und rauchte in einer Gasse einen Joint. In einem Internetcafé surfte sie eine halbe Stunde durchs Internet, bis sie rausgeworfen wurde.
    Lilly stellte jede Menge Fragen und zeigte jedem das Foto. Einige Jugendliche misstrauten ihr, als hielten sie sie für eine Drogenfahnderin.
    Im Laufe des Vormittags sprach sie mit mehr als zwanzig Straßenkindern und tauschte mit ihnen Geschichten über Horrorerlebnisse, Triumphe, glücklich überstandene Katastrophen, Gefängnisaufenthalte und Cops aus. Immer die Cops. Als Ausreißerin wusste man alles über Cops.
    Ein Mädchen – eine Ausreißerin aus Buffalo, die sich Starlight nannte – erzählte ihr von einem Erlebnis, das sie in New York City gehabt hatte. Starlight war eine Naturgewalt. Ihre Hände und Hüften und ihr wallendes rotes Haar waren ständig in Bewegung, als sie Lilly erzählte, dass sie einmal fast von mehreren Typen hintereinander vergewaltigt worden wäre. Lilly hoffte das Beste für sie, ohne große Hoffnungen zu haben. Starlight sagte, dass sie seit letztem Jahr Weihnachten auf den Straßen von Philadelphia lebe.
    Lilly erfuhr, dass jeder irgendwelche Geschichten über Entfremdung, Vernachlässigung, Misshandlung oder Angst vor der Zukunft zu erzählen hatte. Jeder von ihnen konnte über traumatische Erlebnisse berichten – versoffene Mütter, brutale Väter, gewalttätige Geschwister, ein Leben, in dem Missbrauch jeder Art an der Tagesordnung war.
    Sie alle hatten keine Ahnung, dass das Leben noch viel schlimmer sein konnte.
    »Hi«, sagte der Typ.
    Lilly, die an der Ecke Neunte und Filbert vor dem BigK stand, drehte sich um. Der Typ war eine Straßenratte, da kann sie sich aus. Er gefiel ihr ganz und gar nicht. Groß und mager, schmutziges blondes Haar, fettige Haut und ein rotes Tony Hawk-Shirt. Skateboardtypen waren nie ihr Ding gewesen. Sie ignorierte ihn und schaute auf die Uhr. Ein paar Minuten vergingen, doch der Typ haute einfach nicht ab.
    »Hi , hab ich gesagt, du Schlampe.«
    Oh nein, dachte Lilly. Diese Scheiß jungs. Jeder von diesen Pennern hielt seine Masche für unwiderstehlich und glaubte, sein Lächeln sei gottgegeben. Natürlich war sie nicht zum ersten Mal in der Situation, dass sie an einer Straßenecke von einem Punker belästigt wurde. Aber das war immer in ihrem Revier gewesen, in ihrer Heimatstadt. Dies hier war eine fremde Umgebung für sie. Jetzt wurde es brenzlig.
    Lilly versteifte sich und spähte über die Schulter. Sie war weniger als einen Häuserblock von der Bushaltestelle entfernt. Sie hätte nur wenige Sekunden gebraucht, um dorthin zu flüchten. Sie war wahnsinnig schnell. Doch hier ging es um ein Prinzip. Lilly hatte nicht vor, sich von einem Idioten von der Straße vertreiben zu lassen. Sie schaute ihm ins Gesicht.
    »Wie hast du mich genannt?«
    Der Junge grinste blöd und trat einen Schritt auf sie zu. Jetzt sah Lilly, dass er doch nicht so mager war, wie sie gedacht hatte, sondern ziemlich muskulös. »Du hast mich genau verstanden, Schneewittchen.«
    Er packte sie am Arm. Sie versuchte, sich loszureißen. Es gelang ihr nicht. Der Bursche war stark.
    »Lass mich los!«
    Er lachte. »Oder was?«
    Lilly verlagerte ihr Gewicht auf das linke Bein und versuchte, ihm das Knie zwischen die Beine zu rammen, doch der Bursche drehte sich um, wehrte den Tritt ab und lachte hämisch.
    »Was sollte das werden, du kleine Schlampe?« Der Junge umklammerte ihr anderes Handgelenk. »Du willst doch wohl nicht, dass ich

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