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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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dann ging er. Er hatte bessere Tage gesehen, freilich auch schon schlechtere. Fortuna geizte mit ihrer Gunst. Im Hof traf er auf Demetrios Palaiologos Kantakuzenos, den Oberbefehlshaber der Truppen. Der hagere Mittfünfziger wirkte sehr geschäftig, begrüßte ihn aber dennoch freundlich. Er strahlte Freude und Tatkraft aus, so als ob er sich auf ein großes Unternehmen vorbereite.
    »Seid Ihr dabei, Kapitän?«
    »Wobei?«, fragte Loukas trocken.
    »Wir erobern Gallipoli zurück.«
    Dem Kapitän klappte die Kinnlade herunter. Er gab ein Bild mitleiderregender Ahnungslosigkeit ab. Der Oberbefehlshaber schlug sich mit der flachen, langen Hand an die Stirn.
    »Stimmt, Ihr seid ja erst Gefangenschaft und Tod entronnen und braucht etwas Zeit, um Euch zu erholen. Doch haltet Euch nicht zu lange abseits, es gibt Ruhm und Beute zu gewinnen. Obwohl wir von der Landseite angreifen und die Marine nicht benötigen werden, seid Ihr bei dem Waffengang herzlich willkommen!«
    Für einen Augenblick vergaß Loukas Notaras sogar zu atmen. Kantakuzenos genoss die Würde seines Amtes und gab sich dem Hochgefühl hin. »Wer hätte dem Mitkaiser eine solche Rede zugetraut, wie er sie heute Morgen vor den Truppen gehalten hat? Ja, das Reich wird zur alten Größe zurückfinden. Ihr hättet den Jubel des Hofes und des Heeres erleben sollen. Es wird, mein Freund, es wird!«
    Gönnerhaft klopfte der General ihm auf die Schulter und verschwand in Windeseile im Palast. Das Gefühl der eigenen Bedeutung zog ihn am Nasenring durch die Manege der Weltgeschichte, allerdings als tumber Bär, über den die Nachwelt lachen würde, wenn sie ihn nicht verfluchen würde wegen des Unheils, das er über die Stadt brachte.
    Loukas Notaras hingegen stand wie angewurzelt da, von der Nachricht erschüttert, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Tappte er nur durch einen schrecklichen Traum, oder hatten sie bei Hofe in seiner Abwesenheit völlig den Verstand verloren? Hatte der alte Feind, der Versucher, es tatsächlich vermocht, ihre Sinne zu verwirren? Wie im billigen Flitterkleid einer Hure tanzte die Welt in Torheit gewandet. War er denn wirklich der Einzige, der begriff, dass sie wie verblendet in die Katastrophe rannten? Loukas fragte sich vergeblich, ob ihre Eitelkeit aus ihrer Dummheit oder ihre Dummheit aus ihrer Eitelkeit herrührte. Auf der großen Freitreppe des Palastes ahnte Loukas allmählich, dass die Eitelkeit nichts weiter als der brutale Versuch war, die eigene Nichtigkeit zu kaschieren, während die Dummheit bitter als Schutz vor der Erkenntnis der Wahrheit benötigt wurde. War der Mensch nicht heillos damit überfordert, Gottes Geschöpf zu sein, wie der minderwertige Sohn, der am genialen Vater zugrunde ging?
    Dass er beim Mitkaiser in Ungnade gefallen war und die Berufung seines Feindes Georgios Sphrantzes für seine Position als Geschäftsmann gefährlich werden konnte, beunruhigte ihn. Nirgends auf der Welt hingen politischer Einfluss und wirtschaftlicher Erfolg enger zusammen als in Konstantinopel. Die Abhängigkeit vom Wohlwollen des Kaisers betraf besonders den Handel. Ein Archont, ein Großgrundbesitzer, zog sich im Ernstfall auf seine Besitzungen zurück und konnte mit Gelassenheit auf die mangelnde Gunst des Kaisers schauen. Das galt jedoch nicht für einen Handelsherrn, der sich – angefangen beim Privileg, Handel treiben zu dürfen, über die Höhe der Einfuhr- und Ausfuhrzölle, die Lizenz zum Besitz von Schiffen bis hin zur Genehmigung der Liegeplätze im Hafen und dem Bau von Lagerhallen in der Stadt – ununterbrochen in existenzieller Abhängigkeit vom Hof befand. Für alles und jedes benötigte der Handelsherr die Zustimmung des Kaisers, der an allen Unternehmungen mitverdiente.
    Die Verantwortung für das Handelshaus und für seine Familie lastete fühlbar auf den Schultern des Kapitäns. Er hatte die Rachsucht des Fürsten Alexios Angelos und seinen Einfluss auf den Mitkaiser unterschätzt. Ihm blieb nur die unangenehme Schlussfolgerung, dass sie beschlossen hatten, ihn zu vernichten. Über diese Entwicklung musste er sich so schnell wie möglich mit seinem Vater beraten. Womit er nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen gerechnet hatte, lag klar und offen vor seinem geistigen Auge. Die Existenz des Handelshauses stand auf dem Spiel. Was für die Ewigkeit errichtet schien, wurde zur Laune der Egoismen und der Gier.
    Nicht weniger schwer wog der Fehler, Gallipoli anzugreifen. Früher gehörte zwar die Stadt

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