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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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sich als fahrlässig erweisen, diese Möglichkeit außer Acht gelassen zu haben. Schließlich hatten es seine Feinde zu den Ohrenbläsern des neuen Kaisers gebracht.
    Zuallererst trug er die Verantwortung, die er täglich stärker empfand, für das Kind, das in Eirenes Bauch heranwuchs. Das war Grund genug, klug und skrupellos vorzugehen. Er fühlte, wie diese Tatsache, die er an ihren voller werdenden Brüsten und den weicher werdenden Zügen ablesen konnte, die Welt für ihn von Grund auf veränderte.
    Am Nachmittag trank er mit seiner Mutter Tee im Garten des Palastes. Im Wachholderbusch stritten ein paar Vögel miteinander. Und auf dem Kiesweg, der den Garten teilte, sonnte sich ein grüner Gecko mit roten Streifen. Ein würziger Kräutergeruch hing in der Luft. Die Grillen zirpten um die Wette. Thekla Notaras, die in einer Art Korbsessel saß, gab eine durch und durch elegante Erscheinung ab. Eigentlich liebte sie es, in der Bibel oder in den Heiligenviten zu lesen. Auch hatte sie eine Leidenschaft entwickelt, sich von den Bediensteten die kalte Schauer über den Nacken treibenden Untaten der Gespenster und andere schreckliche Kuriositäten erzählen zu lassen. Angesichts der vielen Ruinen in der Stadt, des allgemeinen Verfalls der Bauten gab Konstantinopel allerdings die ideale Kulisse für Spukgeschichten ab und in Anbetracht des sich mehrenden Elends den idealen Nährboden für bizarre Gewaltausbrüche. Entgegen ihren musischen Neigungen wirkte sie in letzter Zeit sehr diszipliniert. Sie verbarg ihre Verletzung und ihre Ratlosigkeit hinter einer Maske der Sachlichkeit und des Pragmatismus, die man eigentlich von ihr nicht kannte. Der Versuch, eine Normalität vorzugaukeln, war ihre, wenngleich ein wenig hilflose Art, die Familie zu retten. Loukas wusste, wie viel Kraft sie das kostete, und empfand deshalb eine hohe Achtung für sie.
    »Hast du mit Vater darüber gesprochen?«, fragte Loukas die Mutter, nachdem er sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte.
    »Er leidet darunter, wie auch Demetrios darunter leidet. Die Zeit muss die Wunden heilen. Wenn wir uns alle nur ein bisschen Mühe geben …«
    »… und versuchen, eine Normalität zu leben, denkst du?«
    Thekla nickte und nahm einen langen Schluck aus der Teeschale. Sie ließ den Tee eine Weile auf der Zunge und schloss dabei die Augen. Das alles ist ein einziger Albtraum, dachte sie. Wenn sie doch nur jemand wecken würde, am besten ein strahlender Demetrios, und sie über den Unfug, den sie geträumt hatte, schütteln könnte.
    »Wenn ich damals das Angebot deiner Frau angenommen hätte, darüber zu reden und nach einem Weg zu suchen, dann wäre alles anders gekommen«, sagte sie schließlich mit einem kleinen Zögern.
    Loukas nahm ihre Hände in die seinen und schaute sie an. Er hatte die Augen von ihr geerbt, tiefbraun und fast rund. »Du kannst nichts dafür.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Oder nur so viel wie wir alle. Wenn ihr nicht in so große Sorge um mein Leben geraten wäret, hätte es nie diese Anspannung und diese Entladung gegeben. Wir alle tragen unseren Teil Schuld. Aber du hast recht, mit Reden kommen wir nicht weiter, lass uns versuchen, den Alltag als Familie zu erleben.«
    Thekla stimmte ihrem Sohn zu.
    »Aber dich beschäftigt doch noch etwas?«, fragte Loukas nach.
    »Ich habe Angst, dass Demetrios darunter zerbricht.«
    »Ich werde mich um Demetrios kümmern.«
    Und Loukas hielt Wort. Der Gedanke, dass er bald Vater sein würde, überwältigte ihn jeden Tag aufs Neue und ließ ihm ungeahnte Kräfte zuwachsen. Demetrios, der, seit Loukas zurück war, wieder Mut fasste, genas zusehends von seinen körperlichen Verletzungen. Immer mehr Zeit verbrachte er bei dem jungen Ehepaar, leistete Eirene Gesellschaft oder half ihr, wenn Loukas seinen Geschäften nachging. Es war, als wäre er der Sohn der beiden. Diesem Eindruck widersprach nur der allzu geringe Altersunterschied.
    Während Loukas noch darüber nachdachte, wie er Kontakt zu dem jungen Mann aus Galata aufnehmen würde, stand dieser eines Tages vor der Tür und wünschte Loukas Notaras zu sprechen.
    »Nun, Loukas Notaras, lasst uns endlich über Geschäfte reden.«
    »Seid willkommen, Francesco Draperio.«

43
    Bei Bursa, Anatolien
    Es regnete in Strömen. Die Hufe ihrer Pferde versanken im Schlamm. Dicke schwarze Wolken hingen, notdürftig am Himmel befestigt, über dem Schlachtfeld, in Gefahr, jederzeit herabzufallen und alles unter sich zu begraben. Dazu pfiff ein für die

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