Byzanz
möchte hierbleiben«, sagte Loukas.
In diesem Augenblick kam die Zofe aus dem Zimmer gestürmt. Auf seinen fragenden Blick rief sie ihm im Vorbeigehen zu: »Wir brauchen heißes Wasser und zwei Dienerinnen.«
Loukas schaute ihr nach. Er fühlte die Hand seines Vaters auf seiner Schulter liegen. »Ich gehe jetzt zur Hagia Sophia und werde für euch beten. Vor der Ikone der heiligen Gottesmutter. Der Herr wird uns beistehen«, sagte er mit einer Zuversicht in der Stimme, für die Loukas ihm dankbar war. Er sah seinem Vater nach, der dem Gang folgte, um zur Treppe zu gelangen, die von der Galerie zum Kreuzgang hinabführte.
Wenig später kam die Zofe aus der Küche, eingehüllt in den Dampf des Wassers, das aus den Kesseln stieg, die zwei Diener trugen. Sie selbst schleppte vier Kupferschalen unterschiedlicher Größe. Kaum waren die drei Domestiken im Schlafzimmer verschwunden, als zwei Dienerinnen mit großen Bündeln Leinen an ihm vorbeieilten. Obwohl ihn die Schnelligkeit der Hausangestellten hätte beruhigen müssen, versetzte ihn die emsige Geschäftigkeit der vielen Menschen in Unruhe, denn alles deutete auf einen Kampf hin, für den man sich rüstete und bei dem es um Eirenes Leben ging.
»Wenn du an mich denkst, erinnere dich nicht so an mich, sondern daran, wie ich aussah, als du mich kennengelernt hast«, hatte sie zu ihm gesagt.
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Auf der Mese in Konstantinopel
Inzwischen hatte der verkleidete Mönch das Valens-Aquädukt erreicht. Links von ihm auf dem vierten Hügel der Stadt thronte die viereckig wirkende Apostelkirche über einem griechischen Kreuz. Hinter der Kuppel des Kreuzarmes erhob sich wie eine ältere Schwester die Hauptkuppel mit ihren hohen Fenstern und Jochen. Im achteckigen Vorbau, der sich an den östlichen Kreuzarm anschloss, befand sich angeblich die Grablege des Gründers des Neuen Roms, Kaiser Konstantin. Die halb rechts hinter dem Gemäuer stehende Sonne verlieh dem Blei der Kuppeln ein sanftes Glühen. Dem verkleideten Türken war gesagt worden, er solle der Straße immer weiter folgen bis zur Hagia Sophia, um dann nach rechts in nördliche Richtung abzubiegen. Gegenüber der Hagia Eirene würde er den Palast der Notaras finden, einen lang gestreckten Quader mit drei Etagen, dem Loggien vorgesetzt waren, deren Mauerwerk durch die Verwendung von roten und weißen Steinen, die aber bereits nachdunkelten, der Architektur eine strenge Ordnung verliehen.
Er wich Gesprächen mit Kuttenträgern, die in einer Anzahl die Mese bevölkerten, dass er Konstantinopel für eine Stadt der Mönche zu halten begann, tunlichst aus. Zwar sprach er hinreichend Griechisch, doch besaß er nur eine geringe Kenntnis der Riten der Ungläubigen. Auch wollte er nicht zu Gotteslästerungen wie beispielsweise dem Schlagen des Kreuzes, das er notgedrungen erlernt hatte, gezwungen werden, denn nichts verriet einen falschen Geistlichen schneller als eine fehlerhafte Bekreuzigung. Daumen, Zeige- und Mittelfinger mussten bei den Byzantinern einander berühren und ausgestreckt werden, während die folgenden beiden Finger die Handfläche berührten. Allein schon diese Geste würde ihm den Zorn Allahs einbringen, denn die drei ausgestreckten Finger symbolisierten die heilige Trinität, also die schlimmste Sünde: shirk , den Frevel der Beigesellung, der Vielgötterei. Stand denn nicht unmissverständlich im Koran: »Gott hat keinen Sohn angenommen, und neben ihm ist kein anderer Gott«, und »gelobt sei Gott, der keinen Sohn annahm und der mit keinem seine Macht geteilt hat und der nicht wegen einer Schwäche eines Freundes bedarf«? Bekundeten denn nicht alle wahrhaft Gläubigen im Glaubensbekenntnis: »Ich bezeuge, es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist der Gesandte Gottes«?
Der geheime Bote beruhigte sich damit, dass Gott barmherzig war und in seiner Weisheit den Muslimen die tariqa geschenkt hatte, das fromme Verheimlichen, die Erlaubnis, sich zu verstellen und zu lügen, wenn es notwendig war, um das eigene Leben zu erhalten und den Glauben zu schützen.
Auch war es in Konstantinopel wichtig, das Seitenkreuz von der rechten zur linken Schulter zu ziehen, denn im umgekehrten Falle würde man ihn für einen Lateiner halten, einen westlichen Ketzer, was auch nicht viel besser war. Mochte es selbst unter den Christen verständige Menschen geben, in ihrem Glauben schienen sie ihm wahre Narren zu sein. Zu seiner Beruhigung begann er, im Geist die neunundneunzig schönsten Namen Gottes zu memorieren.
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