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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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drangen die lang gezogenen Schreie seiner Frau in den Speisesaal und ließen ihn mitten im Satz verstummen. Die Töne, die aus der Tiefe der Existenz kamen, befremdeten ihn und entfesselten Panik. Sein Gesicht entfärbte sich mit jedem Intervall mehr. Loukas sprang auf, warf noch ein »Verzeiht« in die Runde, bevor er Hals über Kopf die Tafel verließ.
    »Der gute Gott wird ihr beistehen«, bemerkte Aureliana jetzt lieber auf Italienisch.
    »So sei es, amen«, sekundierte ihr Mann im besten Griechisch.
    Im gleichen Augenblick betrat ein Türke, der sich als Mönch verkleidet hatte, durch das hohe Charisius-Tor, das nach einem längst vergessenen Führer der Blauen Zirkuspartei benannt worden war, die Stadt und fragte sich nach dem Palast des Nikephoros Notaras durch. Am Körper trug er einen geheimen Brief. Sein Auftraggeber hatte ihm befohlen, lieber zu sterben, als die Botschaft einem Unbefugten zu übergeben.
    *
    Eirenes feine Gesichtszüge hatten sich verkrampft und wirkten wie geschnitzt. Obwohl Loukas, der auf der Kante des breiten Himmelbettes saß, ihr gut zuredete, gelang es ihr nicht mehr, sich zu entspannen. Ihren ganzen Körper trieb ein Schmerz, der aus der Tiefe ihrer Wirbelsäule kam, auseinander, als forderte das werdende Leben ihren Tod. Wellen immer neuer Schmerzen türmten sich auf.
    »Kümmere dich um unser Kind!«, hauchte sie hastig und flach atmend.
    »Wir werden uns gemeinsam um unser Kind kümmern.«
    »Lüg nicht«, presste sie wütend durch die Zähne. »Ich habe von meiner Mutter geträumt. Und sie hat mir gewunken …« Sie besaß keine Kraft mehr zum Reden. Niemals zuvor in seinem Leben hatte sich Loukas Notaras so hilflos gefühlt.
    »Wasser«, kommandierte er knapp wie auf dem Schiff.
    Die Zofe beeilte sich, um eine Schüssel aus Goldblech, die zur Hälfte gefüllt war, und ein Samttuch zu holen. Beinahe wäre sie in ihrem Eifer die Treppe hinuntergestürzt, so sehr hatte sie der ungewohnt barsche Ton des Herrn erschreckt.
    Loukas tauchte das Tuch ein, wrang es aus und tupfte dann zärtlich seiner Frau den Schweiß von der Stirn. Ihm war die Vergeblichkeit seines Tuns durchaus bewusst. Aber irgendetwas musste er in seiner Hilflosigkeit unternehmen. Derweil floss Dämmer ins Zimmer, schuf ein Gefühl lähmender Dauer und breitete sich feinstofflich wie schwebender Staub aus, legte sich auf den roten Fliesenboden und lehnte sich an die Mosaike der Wände, die Schäferszenen aus dem Roman »Daphnis und Chloe« darstellten – einen Ziegenhirten und eine Schäferin, die mit einem unbekannten Gefühl rangen, das Liebe genannt wurde.
    »Ich habe Schmerzen und doch keine Wunde«, hatte sie am Anfang ihrer Bekanntschaft immer daraus zitiert. Sie liebte den Roman, und Loukas liebte Eirene, so kam es, dass er ihr gemeinsames Schlafzimmer mit Schäferszenen aus dieser Geschichte hatte ausgestalten lassen.
    »Du hast ja das Buch in das Bild zurückübersetzt«, hatte sie zu ihm gesagt, als er ihr voller Stolz die neun Mosaike mit Schafen, Ziegen und zwei halb nackten oder nackten Jugendlichen zeigte. Er musste wohl ein allzu dummes Gesicht gemacht haben. Sie jedenfalls hatte schallend gelacht mit ihrer glockenhellen Stimme und dann aus dem Anfang des Romans zitiert, in dem der Autor erzählt, dass er anlässlich einer Jagd auf der Insel Lesbos in einem Nymphenhain auf ein Kunstwerk gestoßen sei, auf die malerische Darstellung einer Liebesgeschichte. Die hatte ihn so sehr beeindruckt, dass er beschloss, wetteifernd zum Bild eine Erzählung zu verfassen.
    Keinen Tag ihrer Ehe wollte Loukas missen, außer, ja außer den Tagen, an dem er unterwegs und getrennt von ihr war.
    Er hatte nicht aufgehört, ihr die Stirn zu tupfen. Gern hätte er ihr etwas erzählt, er wusste nur nicht was. Alles, was ihm einfiel, erschien ihm gleichzeitig so banal und deplatziert zu sein. Er fürchtete, ihre Intelligenz zu beleidigen. Doch dann fing er einen Blick von ihr auf, in dem nur Entsetzen lag. Nicht der Schmerz, nur das Wissen um den Tod. Sie nahm ihre gesamte Kraft zusammen, denn das wollte sie ihm noch unbedingt sagen. Sie rang um jedes Wort.
    »Wenn du an mich denkst, erinnere dich nicht so an mich, sondern daran, wie ich aussah, als du mich kennengelernt hast.«
    »Du bist immer noch so schön«, sagte er hilflos.
    »Ach …«
    Lärm drang von der Treppe. Gleich darauf trat Martina Laskarina, die in eine lange schwarze Robe aus derbem Leinen gehüllt war, gefolgt von zwei Nonnen ins Zimmer. Der Dämmer

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