Byzanz
Steinmetzarbeiten verborgen wurden, einzudringen und sich im Raum in wilder Umarmung wieder zu vereinen. Hochzeit des Lichts nannte man diesen Ort auch. Doch für Dschuneid sollte es die Pforte zur ewigen Finsternis werden.
»Deine Zeit ist abgelaufen«, sagte Halil. »Du hast nur noch die Wahl zwischen einem leichten, sogar ehrenvollen Tod oder einer langen, schmerzvollen Zerstörung des Körpers, den wir bis auf die Grundmauern schleifen werden. Entweder wir erwürgen dich mit der Perlenschnur, wie es eigentlich den Angehörigen des Herrscherhauses vorbehalten ist, oder wir lassen dich mit Händen und Füßen auf ein Brett nageln, um dir schließlich mit Messern und Schwertern das welke Fleisch von den Knochen hacken zu lassen.«
Dschuneid lächelte schief. »So alt der Mensch wird, effendi , am letzten Tag stellt sich das Leben doch als zu kurz heraus. Man fühlt sich irgendwie betrogen. Ihr werdet es eines Tages erfahren, glaubt einem alten Mann. Diejenigen, die von einem Verstorbenen sagen, dass er ein schönes Alter erreicht hat, wissen nichts von dem Willen zu leben, der selbst im brüchigen Körper noch glüht. Befleckt doch Eure jugendliche Hand nicht mit dem kalten Blut eines alten Mannes, den Allah schon bald abberufen wird. Ihr bekommt alles, was Ihr wollt. Stellt mich unter Arrest. Oder erlaubt mir, mich in einen Sufikonvent zurückzuziehen. Es ist meinem Alter angemessen, mich um meine Seele und um Gott zu kümmern. Ihr seid ein strahlender Sieger! Seid barmherzig, wie es einem so großen Manne geziemt.« Einer letzten Hoffnung folgend, hatte der Emir noch einmal seine ganze Beredsamkeit in die Waagschale seines Schicksals geworfen. Halil Pascha machte den Soldaten ein Zeichen, die den Emir auf die Knie zwangen.
»Gib dir keine Mühe. So alt du geworden bist, klebt so viel Blut an deinen Händen, hängt wie ein Eisengewicht der schwarze Verrat an deiner Seele, hast du so viel Unglück über die Menschen gebracht. Sultan Murad hat beschlossen, dass der Todesengel dich vor Allah bringen wird, auf dass Gott dich richte. Die einzige Barmherzigkeit, die du von mir erwarten kannst, ist ein schneller Tod, doch zuvor will ich von dir alles wissen. Wer hat wie den falschen Mustafa unterstützt? Welchen Anteil haben die Griechen an dem Aufstand?«
Ein Mann muss wissen, wann er verloren hat und es keine Rettung mehr gibt, dann muss er die notwendigen Vorkehrungen treffen. Dschuneid gab nicht nur alle Geheimnisse preis, sein Geständnis nahm die Form einer Beichte an. Wozu sollte er jemanden verschonen? Großmütig war er sein ganzes Leben nicht gewesen, warum dann kurz vor dem Tod? Sein gutes Gedächtnis überging nicht einen Mitverschworenen, er gab sie alle preis. Zum Schluss beschrieb er den Anteil der Byzantiner, bezifferte den Lohn, der ihnen dafür versprochen worden war, dass sie Mustafa freiließen und Mustafas Feldzug bis in die verhängnisvolle Schlacht hinein mit Geld und mit Rittern unterstützten.
»Wer von den Byzantinern ist mit euch in die Schlacht geritten?«, hakte Halil nach.
»Fürst Alexios Angelos«, sagte der Emir mit einer gewissen Freude, denn er hatte den überheblichen Byzantiner nie gemocht, der geglaubt hatte, aus dem Krieg zwischen Murad und Mustafa als lachender Dritter hervorzugehen.
Der Pascha wunderte sich über das Leuchten, das aus den tief liegenden Augen des Emirs kam, als er die Taten des Fürsten penibel aufzählte, so als könnte er ihn dadurch mit ins Verderben reißen. Nachdem Dschuneid geendet hatte, blieb es still. Niemand sagte etwas. Alle schauten auf den Wesir, dessen Längsfalten auf der Stirn eine tiefe Nachdenklichkeit anzeigten. Man hätte eine Nadel zu Boden fallen hören. Keiner wagte, die unheilvolle Stille zu stören, und Halil Pascha schwieg. Schließlich konzentrierte er sich wieder auf Dschuneid, doch seine Augen wirkten müde. Wie viel Energie, wie viel Talent und wie viel Mut waren in diese unwürdige und letztendlich doch vergebliche Unternehmung geflossen, den rechtmäßigen Sultan zu stürzen! Was für eine Verschwendung an Leben! Das machte ihn traurig. Warum konnte sich ein erfahrener Mann wie Dschuneid, der am Scheitelpunkt seines Lebens stand, nicht mit dem wunderbaren Emirat von Aydin begnügen, weshalb stürzte er sich in ein nutzloses Abenteuer, das ihm an Ende nur die Seidenschnur einbrachte? Wenn er herrschen wollte, musste er die Menschen verstehen, dachte Halil. »Sage mir eins noch, Elender«, bat der Wesir mit leiser Stimme,
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