Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
Vom Netzwerk:
zerstob in Milliarden Partikel, und die Ewigkeit hatte ein Ende. Die Zeit setzte wieder ein, diesmal als hektische Geschäftigkeit. Eine Nonne trug einen Korb mit Flaschen, Phiolen und Dosen, während die zweite eine Tasche mit allerlei Instrumenten im Arm hielt. Wie Folterwerkzeuge, dachte Loukas schaudernd mit einem Blick auf den Inhalt, auf die Zangen, Sägen und das silberne Etui, das Messer und Skalpelle enthielt. Die Ärztin nickte Loukas kurz zu, dann war sie schon bei Eirene. »Lass mich sehen!« Mit diesen Worten tastete sie den Bauch ab.
    »Atme tief ein, atme den Schmerz weg«, befahl die Ärztin.
    Loukas versuchte in ihrer Miene zu lesen, erfolglos. Ihr faltiges Gesicht drückte nur Konzentration aus. »Schicke nach einem Priester und nach dem Arzt Morpheo, wir werden seine Künste benötigen.«
    »Mach schon«, fuhr Loukas den Diener an, der unschlüssig an der Tür stehen geblieben war und nun wie von der Tarantel gestochen losrannte, denn den Unmut seines Herrn wollte er nicht auf sein Haupt ziehen. Morpheo, schoss es Loukas durch den Kopf, war ein Magier, einer, der Menschen in den Schlaf versetzen, ihnen aber auch Geheimnisse entlocken konnte, die sie niemals preisgegeben hätten. Die einen sahen ein Genie, die anderen einen Teufel in dieser dubiosen Figur. Es hieß, dass die Lateiner ihn in Rom verbrennen wollten, doch er hatte sich im letzten Moment nach Konstantinopel abgesetzt. Loukas mochte den glatzköpfigen Mann mit den stechenden Augen nicht – er hielt ihn für einen Scharlatan. Aber er vertraute Martina. Also schwieg er widerstrebend und sorgenvoll.
    »Das Kind liegt verkehrt herum«, sagte die Ärztin.
    Loukas starrte sie entgeistert an.
    »Es kann so nicht raus. Wir müssen es drehen«, erklärte sie ruhig.
    Er ging auf die Ärztin zu, nahm ihre Hand und schaute ihr tief in die Augen. Wenn er jemals um etwas gebeten hatte, dann jetzt, auch wenn er wusste, dass sein Wunsch sündhaft war. »Auf meine Frau kommt es an! Sie muss überleben. Das Wichtigste ist meine Frau.«
    Weder mit Worten noch in der Mimik antwortete sie auf seine Bitte: »Geh! Ich rufe dich! Jetzt lass uns allein und bete!«
    Unschlüssig schaute er zu seiner Frau. Was er in diesem Moment sah, erschütterte ihn. Trotz der Schmerzen, trotz der Lebensgefahr lächelte sie ihn an, einen kurzen Augenblick lang wie ein junges Mädchen mit einer verschwitzten Strähne, die in die hohe, schöne Stirn fiel, als habe sie nur bis ans Ende ihrer Kräfte getanzt, wild und ausdauernd, bevor die Schmerzen wieder nach ihr griffen.
    Kaum aber hatte er das Zimmer verlassen und eine der beiden Nonnen die Tür hinter ihm geschlossen, presste sie mit matter Stimme hervor: »Das Kind muss leben!«
    Diese Worte hatte Loukas nicht mehr gehört. Und das war gut so. Sie hätten die Panik in ihm, die er mühsam unter Kontrolle hielt, von der Kette der Selbstbeherrschung gelassen. Vor ihm stand sein Vater.
    »Das Kind liegt falsch«, erklärte Loukas.
    Der Alte nickte. »Die Gäste haben sich verabschiedet. Sie kommen gern zur Taufe, sagen sie und lassen dich herzlich grüßen. Sie werden für euch beten zum Allmächtigen und Maria um Fürsprache bei ihrem Sohn bitten.« Dann spiegelte sich in seinen braunen Augen, die auf erstaunliche Weise von Jahr zu Jahr heller wurden, eine stille Freude. »Wir werden den Enkel und die gemeinsame Firma zusammen aus der Taufe heben. Gibt es ein besseres Omen? Ein neues Leben beginnt, geschäftlich und in der Familie. Er wird die Firma erben, die immer so alt sein wird wie mein Enkel.«
    »Und mein Sohn«, ergänzte Loukas, um das vereinnahmende Wesen seines Vaters zu bremsen.
    »Gehen wir in die Bibliothek«, schlug der alte Seeräuber seinem Sohn vor. Mit Bibliothek meinte er den kleinen mit Büchern und Lesepulten gefüllten Erkerraum im zweiten Stock des Palastes. In der ersten Etage befanden sich die Empfangssäle, der Konzertsaal und das Kontor, im zweiten lagen die Privatgemächer der Notaras, die Zimmerfluchten der beiden Familien, das große und das kleine Esszimmer, die Bibliothek, die Arbeitszimmer von Nikephoros und Loukas sowie die Handarbeitszimmer der Damen des Hauses und der kleine Gesellschaftssaal, der allerdings nur selten genutzt wurde. Die Dienstboten wohnten im Untergeschoss, gleich neben den Lagerräumen. Dort war auch die Witwe des Kanzlisten mit ihren Kindern untergekommen, die in der Küche der Notaras half, während Loukas ihre Söhne zur Schule schickte.
    »Verzeih, Vater, aber ich

Weitere Kostenlose Bücher