Byzanz
Kind retten?«
»Ihr seid ein Mann, Loukas Notaras. Tragt, was Euch aufgegeben ist. Selbst wenn es mir immer gelungen wäre, könnte es dieses eine Mal schiefgehen. Selbst wenn es zumeist tödlich endete, könnte es dieses eine Mal gut gehen. Vergesst die Frage. Wenn Ihr Eure Frau liebt, dann kommt Ihr jetzt mit mir da rein und steht ihr wie ein Mann bei.«
Die Angst erhob sich wie ein Wirbelsturm nicht mehr zu ordnender Gedanken. An jedem Ort der Welt wäre er lieber als an diesem.
»Hört genau zu! Wenn Ihr jetzt mit mir kommt, dann widersprecht mir nicht, kommentiert nicht, was ich mache, verhindert auch nichts. Ihr brecht nicht in Wehklagen aus noch fallt Ihr jemandem von uns in den Arm oder zur Last. Ihr seid nur für Eure Frau da, sprecht ihr Mut zu, tröstet sie, beruhigt sie. Sie wird große Schmerzen haben, sie wird Euch brauchen. Wenn Ihr denkt, Ihr habt schon Kämpfe erlebt und seid schon einmal durch die Hölle gegangen, dann sage ich Euch, das ist nichts im Vergleich zu dem, was Euch dort erwartet. Werdet Ihr das Eurer Frau zuliebe durchstehen, Loukas Notaras? Wenn nicht, dann wartet lieber hier draußen oder an jedem Ort, an dem es Euch beliebt.«
Loukas nickte. Er wollte gerade der Ärztin folgen, da stürmte Basilius, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.
»Bete für uns, mein Freund«, rief ihm Loukas noch zu, bevor er das Schlafzimmer betrat, als ginge es zu seiner Hinrichtung.
46
Palast des Emirs, Smyrna, Anatolien
Die Stadt Smyrna lag in einem fruchtbaren Küstenstreifen, der zum Gebirge hin in leichten Wellen anstieg. Das Klima erfreute seine Bewohner durch seine Milde, und oft wehte ein leichter, erfrischender Wind vom Meere her. An diesem paradiesischen Ort soll Homer geboren worden sein. Nicht einmal in Jerusalem lebten so viele Muslime, Christen und Juden an einem Ort zusammen. Die Assyrer nannten die Stadt Tismurna, die Griechen Smyrni, die Lateiner Smyrna und die Türken Izmir, was sich aus der türkischen Verballhornung der griechischen Redewendung is Smyrna – nach Smyrna – herleitete. Trotz ihrer unterschiedlichen Konfessionen, von denen noch dazu jede von sich behauptete, die einzig wahre zu sein, arbeiteten die Menschen einträchtig am Gedeihen ihrer Stadt. Weder die Osmanen, die früher in der Hauptstadt des Fürstentums Aydin herrschten, noch der Emir Dschuneid, der seit einiger Zeit wieder in Smyrna regierte, waren religiöse Eiferer, sondern in der Hauptsache praktisch denkende Menschen, sodass Christen, Juden und die wenigen Muslime gut miteinander auskamen.
Nachdem er Mustafa in letzter Minute verraten hatte, glaubte Dschuneid sich mit Murad ausgesöhnt. Deshalb überraschte es ihn, als eine Streitmacht des Sultans unter Führung von Halil Pascha durch das Stadttor ritt und den Palast des Emirs umstellte. Dschuneid eilte dem Ersten Minister des Sultans entgegen, um sich vor ihm auf die grünen und blauen Fliesen zu werfen. Doch Halil interessierte das wenig. Er gab zweien seiner Soldaten ein Zeichen, die den Emir wieder auf die Füße stellten und ihn in ihre Mitte nahmen. Der Pascha wollte nicht mehr Zeit für diese Angelegenheit opfern, als unbedingt erforderlich wäre. Er empfand gegen den verschlagenen Emir geradezu einen physischen Ekel.
»Dschuneid, wir haben zu reden. Du bist des Hochverrats beschuldigt!« Der Emir erschrak. Instinktiv spürte er, dass seine Zeit abgelaufen war. In seinem langen, an Wechselfällen reichen Leben hatte er immer wieder vor dem Ende gestanden, doch war es ihm jedes Mal gelungen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Doch nun spürte er, dass er keinen Spielraum mehr besaß. Bei sehr jungen Herrschern wie Murad gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ließen sie sich führen und beeinflussen, oder sie setzten rücksichtslos ihre radikalen Ziele durch, weil sie noch wenig von der Uneindeutigkeit des Lebens verstanden. Sie kannten nur schwarz oder weiß, nicht aber die vielen Facetten von Grau. Resigniert folgte Dschuneid dem Wesir in den Palast. Halil Pascha ließ sich im Regierungssaal auf Dschuneids Diwan nieder. Der Emir empfand es als Hohn des Schicksals, vor seinem Thron zu stehen und von einem Mann verurteilt zu werden, der diesen Platz dank seiner Soldaten einnehmen konnte und der eigentlich schon in der Hölle schmoren würde, wenn es damals vor Bursa mit rechten Dingen zugegangen wäre. Das Licht teilte sich in Schwärme der Helligkeit, um in den Saal durch die verschiedenen Öffnungen, die von Säulen und
Weitere Kostenlose Bücher