Byzanz
es, wenn man ihn für geistreich und dabei umgänglich hielt. Loukas Notaras war sehr schnell dahintergekommen, dass sein Geschäftsfreund sehr gern seinen Gesprächspartnern das Gefühl vermittelte, komplizierte Sachverhalte ihnen zuliebe einfach auszudrücken. Allerdings erschöpften sich die Gedanken des Genuesen im Einfachen, Kompliziertes stand selten dahinter. So glaubten die Leute, dass Francesco Draperio ein kluger, philosophisch gebildeter Mann sei, der allerdings keinen Dünkel besaß und sich aus lauter Liebenswürdigkeit der Anstrengung unterzog, in der Sprache gewöhnlicher Menschen zu reden, sodass alle ihn verstanden. Der Kapitän hatte nicht lange gebraucht, um den Grund für diese Marotte zu durchschauen. Da der Genuese aus kleinen Verhältnissen stammte, versuchte er die Bildung, die ihm vorenthalten worden war, vorzugaukeln. Und um dabei nicht ertappt zu werden, versuchte er jedermann das Gefühl zu vermitteln, er verfüge über eine so große Bildung, dass er darauf verzichten konnte, sie ins Feld zu führen. Wirklich ein netter Kerl, dieser Francesco Draperio.
Während die Dienstboten gebackenes Geflügel, Käse, Honig, Mandelgebäck und gesäuertes Brot zum Dessert servierten, schaute Nikephoros zu Eirene hinüber. Sie sah leidend aus. Das runde Gesicht, das immer vor Gesundheit gestrotzt hatte, wirkte auf einmal durchscheinend, blass wie der Nebel, die Wangen leicht eingefallen, die Nase etwas spitz. Nur die großen schwarzen Augen der Palaiologen büßten trotz der Augenringe das Feuer nicht ein, das in ihnen glomm, auch wenn sie tiefer als gewöhnlich lagen. Ihre dicken schwarzen Haare hatte sie zu einem sich verjüngenden Turm gewunden, den ein Seidentuch umhüllte, dessen Vogelmotive mit Goldfaden gewirkt waren. Das Auffälligste an ihrer Erscheinung bestand in dem großen runden Bauch, den sie wie einen Schatz vorsichtig und doch stolz vor sich hertrug.
Eirene schaute mit wachsender Fassungslosigkeit auf die Speisen. In ihren geweiteten Augen stand der stumme Vorwurf: Warum tut man mir das an?
»Warum gibt es keinen Honigfisch?«, fragte sie in tiefer Verärgerung, als habe man ihn nur nicht serviert, um sie zu quälen. Dann stand sie abrupt auf, hauchte ein »Entschuldigt« hin und verschwand, gefolgt von ihrer Dienerin.
Loukas hatte sich ebenfalls erhoben, wusste aber, dass es seine Frau nicht schätzte, wenn er Zeuge ihrer Unpässlichkeit würde. Deshalb blieb er einen Augenblick ratlos stehen, sah ihr mit Sorge im Blick nach, schweifte kurz über die von Gold- und Silberfäden gewirkten Fischmotive auf dem bläulichen Brokat, der die Wände des Saals zierte, und setzte sich dann mit einem unterdrückten Seufzer wieder hin.
»Die Launen der Schwangeren sind beinah so unverständlich wie die Gedanken Gottes«, sagte Draperio mit liebenswürdigem Augenaufschlag und hob seinen Goldpokal. »Auf Gottes Schöpfung und eine glückliche Niederkunft!«
»Auf Gottes Schöpfung und eine glückliche Niederkunft!«, echoten alle, erhoben ihren Pokal, prosteten sich zu und tranken.
»Es wird ein Junge. Jungs drangsalieren ihre Mütter immer in der Schwangerschaft«, sagte Thekla, um ihren Sohn zu trösten. Sie sprach aus berufenem Mund, denn ihre beiden Söhne hatten auch sie in der Schwangerschaft gehörig »drangsaliert«.
»Ob Sohn oder Tochter, Hauptsache das Kind ist gesund!«, rief Nikephoros.
Draperios Ehefrau applaudierte ihm etwas geziert und sagte mühsam mit schwerem italienischen Akzent auf Griechisch: »Bravo, Einstellung die gute.« Eigentlich hatte sie »richtige Einstellung« sagen wollen, doch war ihr das griechische Wort für »richtig« entfallen.
»Es wird ein Junge, die Zeichen sind deutlich«, schloss Thekla resolut die Diskussion.
In diesem Moment schlich sich Eirenes Zofe in den Saal und flüsterte Loukas unsicher zu, dass er die gnädige Frau entschuldigen möge, weil sie Ruhe benötige.
»Fühlt sie sich nicht gut?« Die Zofe druckste.
»Sprich, dummes Ding!«
»Blass wie der Tod ist sie und windet sich in Krämpfen. Aber das sollte ich Euch nicht sagen, verzeiht, Herr!«, brachte das junge Mädchen stotternd und unter heftigem Erröten hervor.
»Die Wehen«, triumphierte Thekla, »dann ist es bald so weit!«
»Rasch, Andreas, lauf zum Xenon des Kral und hole Martina Laskarina, lass dich nicht abweisen, Martina soll selbst kommen, und zwar sofort! Sie soll sachkundige Nonnen mitbringen. Es ist so weit! Eile, laufe, warum bist du …« In diesem Moment
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