Byzanz
Mit der tashahhud hatte der junge Herrscher sein Gebet beendet und empfand eine große Dankbarkeit für Gott. Nun zweifelte er nicht mehr daran, was zu tun war.
Im Palast angekommen, rief er Halil Pascha zu sich und befahl ihm, das Heer einzuberufen, denn die Ungläubigen sollten bekehrt und die Herrschaft der Gläubigen über die Erde ausgebreitet werden. Doch zuerst sollte endlich ein Anachronismus beseitigt werden.
»Nur Zwietracht und Gewalt ging und geht von dieser Stadt am Bosporus aus. Lass uns Konstantinopel hinwegnehmen und die Hagia Sophia zur Ehre Allahs in eine Moschee verwandeln. Sammle das Heer, mein Freund, denn es geht gegen Konstantinopel!«
47
Notaras-Palast, Konstantinopel
Loukas Notaras betrat zum ersten Mal in seinem Leben mit weichen Knien sein Schlafzimmer. In Eirenes schönem Gesicht kämpften der Schmerz und die Angst miteinander. Morpheo benutzte den kleinen Tisch, der am Fenster zwischen zwei Armstühlen stand, um bestimmte Essenzen aus seiner Kiste zu mischen. Über einen kleinen Ölofen erhob sich ein Gestell, auf dem verschiedene Skalpelle, aber auch zwei Nadeln, zwei unterschiedlich große Scheren und zwei Haken lagen. Der Anblick der Instrumente erzeugte in Loukas Übelkeit. Er musste stark bleiben und durfte sich jetzt nicht gehen lassen. Die Dienerinnen trugen einen langen, aber nicht allzu schweren Tisch herein, auf den die Gehilfinnen der Ärztin Tücher, Verbandsstoffe, Wasserschüsseln mit heißem Wasser und verschiedene Essenzen und Salben bereitstellten.
Er nahm einen Schemel und setzte sich neben seine Frau. Eine Gehilfin stellte umsichtig einen zweiten Schemel mit einer Schüssel neben den Kapitän. Im Wasser, das dem Geruch nach zu urteilen mit Lavendel, Rosmarin und Salbei versetzt worden war, schwamm ein Lappen. Loukas wrang das Tuch etwas aus, dann tupfte er liebevoll seiner Frau den Schweiß von der Stirn. Sie sah ihn dankbar an.
»Wir schaffen das«, zwang er sich möglichst sicher zu klingen.
Sie ergriff seine Hand. »Wirklich?«
»Wirklich. Du musst jetzt zwar sehr tapfer sein, aber wir schaffen das. Ich bin bei dir, ich bleibe bei dir, ich habe doch geschworen, immer bei dir zu bleiben.« Indem er es sagte, erschrak er über die tiefere Wahrheit seiner Worte, denn ohne sie konnte und wollte er sich kein Leben vorstellen, mochte es auch eine Sünde bedeuten. Loukas sah sich kurz um, weil jemand ins Zimmer gekommen war. Thekla trug ein weißes Kleid und hatte die dicken Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden. Sie wollte helfen und ihrer Schwiegertochter beistehen. Loukas nickte ihr dankbar zu. Morpheo reichte Eirene einen Krug und bat sie, den Inhalt auszutrinken. Der Arzt hatte aus Lavendel, Rosmarin, Alraunwurzeln, Mohn, einem Pulver aus in der Sonne getrockneten Mistwürmern und Raupen von Wollmilchgewächsen und Weißwein eine Mixtur hergestellt. Tapfer trank Eirene das ekelhaft schmeckende Gebräu in möglichst großen Schlucken und mit zugekniffenen Lidern. Loukas kam es so vor, als würde seine Frau noch weißer, als sie ohnehin schon war. Sie würgte, zwang sich, den Trunk bei sich zu behalten, und sank erschöpft auf das Bett zurück. Ihr Atem wurde immer gleichmäßiger. »Erzählt ihr eine Geschichte, möglichst monoton und ohne aufregende Momente«, raunte Morpheo ihm zu.
Leer fühlte sich sein Kopf an. Geschichten lebten davon, dass sie die Menschen berührten und auch aufregten, von Widersprüchen und von Kämpfen, davon, dass der Mensch überwindet oder überwunden wird. Und dann erzählte er tatsächlich von den Städten, in denen er gewesen war, von Kaffa am Schwarzen Meer, von Venedig, von Genua, von Amasia – und da fiel ihm die Geschichte ein von der Liebe der Nachtigall zur Rose, die ihm damals Murad erzählt hatte als Gleichnis der Liebe des Menschen zu Gott. Und während er sprach, schlief Eirene ein, sank sie tiefer und tiefer in den Schlaf. Dreimal prüfte die Ärztin den Puls, bevor sie entschied: »Wir fangen an!« Der Satz ging Loukas durch und durch. Fast blieb ihm vor Angst das Herz stehen, zumindest spürte er schmerzhaft jeden Schlag. Martina Laskarina gab Anweisungen, wer welche Gliedmaßen festzuhalten hatte für den Fall, dass die Betäubung nicht ausreichte. Die Ärztin nahm das Skalpell und schnitt in den Unterleib. Eirene stöhnte. Und Loukas betete. Schließlich schnellten ihre Lider hoch. Aus schmerzgeweiteten Augen starrte Eirene ihn an. Die Pupillen hatten fast die Iris verdrängt. Diesen Blick würde Loukas sein
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