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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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aus. Von ihm, nicht von seinem Sohn.
    »Was sagt Loukas Notaras? Er kennt Murad.« Johannes wich dem Blick seines Vaters aus. Zornesröte stieg in das Gesicht des alten Kaisers.
    »Du hast es nicht einmal für nötig befunden, seinen Rat einzuholen? In dieser Situation können wir es uns nicht leisten, auch nur auf eines der wenigen Talente, die in unseren Mauern leben, zu verzichten.« Manuel schüttelte den Kopf, dann blickte er wieder zu den Türken. Er konnte die beschwingte Stimmung im Lager der Feinde bis zu seiner Zinne hinauf spüren. Und der Horizont spie immer noch mit Leichtigkeit Truppen aus, als wäre er es, der den Nachschub erschuf. Wieder und immer wieder. Nichts als Gewalt hat Muhammad in die Welt gebracht, dachte der Kaiser. Wie viel besser war doch Jesus Christus, der Frieden und Nächstenliebe gepredigt hatte und nicht Mord und Unterdrückung. Allerdings hielten sich diejenigen, die sich nach ihm benannten, häufig nicht daran, sondern folgten in ihrem Tun eher Muhammad als Jesus. Plötzlich glaubte er, jedem einzelnen Türken ins Antlitz schauen zu können. Er fühlte ihre Gesichter. Sie waren nicht brutal, sie waren nur rücksichtslos, wie junge Tiere, die wussten, dass ihre Zeit nun anbrach. Ihm gegenüber standen die neuen Herren der alten Welt. Und nichts würde sie aufhalten können. Ihm schauderte, dennoch würde er sich aufraffen und noch einmal der Kaiser werden, den die Stadt brauchte. Wichtiger als alles, selbst als sein Seelenheil, war es, das Reich der Rhomäer, die Stadt zu retten. Ein letztes Mal wollte er es noch versuchen. Darin bestand seine Aufgabe vor Gott. So lange schon. Er versuchte weiterzudenken, festzulegen, was jetzt zu tun war, doch es gelang ihm nicht, er kam nicht vorwärts, so als seien seine Gedanken festgefahren, im Sumpf stecken geblieben. Er strengte sich an, etwas zu sagen, aber es fielen nur dumpfe Laute aus seinem hängenden Mund. Das Letzte, was er sah, bevor er in ein Meer von Licht stürzte, waren die schreckgeweiteten Augen seiner Frau. Dann aber vernahm er die Engel, die Cherubim und die Seraphim, die hoch oben in der Kuppel der Hagia Sophia Christus sangen. »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth«, verkündete der Schlag ihrer sechs Flügel. Und Christus sah ihn an aus der Kuppel der Hagia Sophia und sagte: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Die Engel legten seinen erstarrten Leib auf eine Wiese, auf der eine Bank stand, auf der wiederum eine Frau saß, die Ähnlichkeit mit seiner Gemahlin hatte. Sie sprach lateinisch zu ihm: »Fahret fort, die Gerechtigkeit zu üben, und duldet keinen Zwiespalt im Herzen, damit ihr eingehen werdet zu den heiligen Engeln! Glückselig seid ihr alle, wenn ihr die kommende große Trübsal aushaltet und wenn ihr euer Leben nicht verleugnet.«
    Man brachte den Kaiser in den Palast und rief die besten Ärzte, auch Martina Laskarina, denn Manuel II. Palaiologos hatte der Schlagfluss ereilt. Doch sein Herz schlug wieder, auch wenn sein Körper gelähmt war und die Lippe wie ein Lappen an der linken Seite nach unten hing. Solange dieses Herz schlug, wusste Martina Laskarina, würde Byzanz nicht untergehen. Diese Erkenntnis bürdete der zierlichen Ärztin einen übermächtigen Druck auf. Plötzlich befand auch sie sich im Krieg.
    Nachdem sie den Kranken versorgt hatte und nichts mehr zu tun blieb, begab sie sich zum Palast der Notaras. Sie bat darum, die beiden Männer sprechen zu dürfen, was ihr umgehend gewährt wurde, denn sie standen so tief in der Schuld der Ärztin, dass sie ihr nichts abschlagen würden. Man führte sie in den Garten. Unter einem Palmenwedel, der Schatten spendete, standen ein paar Stühle und ein achteckiger Tisch, der mit Silberplättchen belegt war. Der Brunnen, in dessen Mitte ein dicker Fisch aus Gold unablässig Wasser aus dem weit aufgerissenen Maul spie, kühlte die Temperatur und erfrischte die Luft und dadurch die Menschen. Vater und Sohn begrüßen die Ärztin. Sie hielt sich nicht bei der Vorrede auf, sondern beschrieb den beiden Männern den Zustand des alten Kaisers.
    Nikephoros machte die Nachricht traurig. Fast sein ganzes Leben hatte er mit Manuel verbracht. Gemeinsam hatten sie den Westen bereist. Auf der Suche nach Unterstützung für ihr bedrängtes christliches Reich hatte ihr Weg sie als Bittsteller sogar bis nach London geführt. Alle Könige und Fürsten priesen Manuel Palaiologos als klug und verehrungswürdig, als einen Mann von Welt, doch Hilfe versprach keiner.

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