Byzanz
Geist. Stolz über die Formulierung, die Anna für diesen schwierigen Zustand gefunden hatte, durchflutete sie.
»Aber Anna, du bist ein Mädchen, du solltest andere Dinge lernen. Tanzen und wie man einen Haushalt führt«, wandte Loukas ein wenig hilflos ein. Natürlich war Anna ein Mädchen, aber sie war auch seine Tochter.
»Was ist? Mama kann doch auch lesen und schreiben und rechnen.«
»Das stimmt allerdings«, gab Eirene zu.
»Und Martina Laskarina ist eine Frau und trotzdem Ärztin!« Über diesen Satz musste Eirene schmunzeln, so hatte auch sie einst argumentiert. Immer hatte das Beispiel der Ärztin dafür herzuhalten, wenn ein Mädchen die vorgezeichneten Bahnen zu verlassen wünschte, doch davon, schätzte Eirene, dürfte es nicht allzu viele geben. Zu den wenigen gehörte allerdings ihre Tochter.
»Mit diesen Fähigkeiten wirst du die Männer, die dich heiraten könnten, verschrecken. Die meisten Männer verabscheuen gebildete Frauen«, wandte Annas Mutter ein.
»Was interessieren mich Männer!«, warf sie mit so großer Geste und dem ganzen Weltwissen einer Zehnjährigen hin, dass Loukas nur mit dem Kopf wackeln konnte und vorsichtig einwandte: »Das sagst du jetzt!«
»Du hast doch auch Mama geheiratet!«
»Ja, ich, aber …«
»Meinst du, ich will einen Mann, der dümmer ist als du? Willst du das etwa?«
»Nein, das nicht …«
»Na also. Kann ich jetzt lesen, schreiben und rechnen lernen?«
Etwas ratlos schauten sich die Eltern des ziemlich überzeugend wirkenden Mädchens an. Zwar konnte Eirene Loukas nicht auf die Seereisen begleiten, wie sie einst als junges Mädchen gehofft hatte; schließlich verbot es sich, die Kinder ein dreiviertel Jahr lang allein zu lassen und sich selbst großer Lebensgefahr, die eine Schiffsreise nun einmal mit sich brachte, auszusetzen. Dennoch bestimmte sie nicht nur über den Haushalt, sondern sprach auch in geschäftlichen Dingen mit. Sie stammte schließlich von Kaisern ab. Und Loukas liebte sein ältestes Kind so sehr, dass er ihr kaum etwas abzuschlagen vermochte. Und dann waren da noch der Stolz und eine etwas verquere Vorstellung. Er glaubte nämlich, dass Anna nach ihm käme. Wäre sie ein Junge gewesen, hätte er gar nicht darüber nachzudenken brauchen, denn dann erhielte sie längst Unterricht.
»Ich will, ich will, ich will!«, sagte Anna mit Nachdruck. Der Kapitän zuckte mit den Achseln, dann nickte er, und seine Frau erwiderte das Nicken.
»Also gut. Ich bestelle einen Hauslehrer. Du sollst lernen, lesen und schreiben und rechnen. Aber wenn wir es machen, dann machen wir es richtig. Schließlich bist du meine Tochter. Du bekommst Unterricht in den klassischen Sprachen des Griechischen, in Latein und Italienisch, in der Logik, der Dialektik, in der Musik, in der Philosophie und Ökonomie.«
Eirenes Augen lachten vor Glück. Sie hatte den richtigen Mann geheiratet.
»Wann darf ich ins Kontor?«, fragte da Anna.
»Wenn du lesen und schreiben und vor allem rechnen gelernt hast!«, lachte Loukas.
Nach der Unterredung mit seiner Tochter ging Loukas in den Garten. Sein Vater saß versonnen auf der Schaukel, während seine Mutter es sich in einem Korbsessel bequem gemacht hatte und stickte. Ein seltsames, aber friedliches Bild, dachte er. Er ging zu dem alten Seeräuber, der sein Kommen nicht bemerkt hatte und aufschrak. »Ach, du bist es, Loukas.«
»Ja, ich, Vater.«
»Ich habe ein bisschen geweint, weißt du. Ich habe Sehnsucht nach Demetrios, nach deinem Bruder, meine ich.«
»Ich weiß.« Loukas fuhr seinem Vater zärtlich mit der Hand über das vollkommen ergraute Haar.
»Ich hab ihm das angetan, weil ich immer so gern wollte, dass er wie du wird. Verstehst du das?«
»Quäl dich nicht, es liegt lange zurück.«
»Ich bin doch auch wie du geworden, obwohl ich wie Demetrios war.«
»Das verstehe ich nicht.« Loukas horchte verblüfft auf.
»Ich habe dir doch erzählt, dass ich auf der Straße herumgelungert bin. Ich habe auch gemalt, naja, mehr gezeichnet. Nicht so schöne Sachen, so heilige wie Demetrios, sondern mehr so freche, die Eigenheiten der Leute übertrieben, was sehr lustig aussah. Auch habe ich kleine Verse gemacht. Doch eines Tages geschah das Schreckliche. Wir hatten wieder im alten Kaiserpalast Suchen gespielt. Ich hatte dort ein tolles Versteck gefunden. An der Seite des Steinpodestes, auf dem einmal der Thron gestanden haben musste, war eine kleine Öffnung. Ich zwängte mich hinein. Es stank und war auch etwas
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