Byzanz
zwei dorische Säulen. Sie kamen in ein Vestibül, wurden aber gleich weitergetrieben durch einen Skulpturengarten und passierten ein Tor. In dem zweiten von hohen Mauern umgebenen Hof kamen sofort knurrend drei Bluthunde auf sie zu.
Der Grieche brüllte den Hunden in seiner Sprache etwas zu, das wohl so etwas wie Sitz, Aus oder Platz bedeutete. Die Bluthunde legten sich auf den Bauch, bereit, jederzeit wieder aufzuspringen und jedem an die Kehle zu gehen, wenn ihr Herr es ihnen befahl.
»Wenn ihr nicht etwas teures Hundefutter werden wollt, schlagt euch jeden Gedanken an Flucht lieber gleich aus dem Kopf«, sagte der Grieche auf Russisch.
An der Rückseite des Hofes lag ein Gebäude, das in drei Zellen unterteilt war. Anatolij kam zu den Männern und Knaben in eine Zelle, Jaroslawa zu den Frauen und Mädchen in eine andere. Sie empfand die Trennung wie einen präzis ausgeführten Schlag in die Eingeweide. Wozu die dritte Zelle dienen sollte, blieb ihr vorerst noch ein Rätsel. Und noch heute wünschte sie, dass sie es niemals hätte erfahren müssen.
Eines Abends holten die Diener des Griechen drei Knaben, darunter Anatolij, aus der Zelle der Männer und brachten sie in den besonderen Raum. Einen ganzen Tag lang bekamen sie weder Nahrung noch Getränke. In Jaroslawa wuchs eine furchtbare Unruhe, denn sie spürte, dass etwas Schreckliches geschehen würde.
Am nächsten Morgen erschien der Grieche in Begleitung von fünf Männern. Einer von ihnen trug zwei scharfe Messer bei sich, andere weiße Leinentücher und merkwürdig kleine Röhrchen. Wenig später hörte Jaroslawa Schreie, die sie nicht zu unterscheiden vermochte, denn sie verbanden sich zu einem einzigen Ton des Schmerzes, eines Schmerzes, der nicht endete, sondern sich steigerte. Ein Mann kam mit einer Holzschüssel, die voller Blut und Fleisch war. Er stellte sie ab, und sofort balgten sich die Hunde um das blutige Mal. Jaroslawa hielt sich die Ohren zu, und Wasser rann ihr aus den Augen, zum ersten Mal seit Wochen, so lange, bis sie keine Flüssigkeit mehr hatte, da weinte sie trockene Tränen. Am späten Nachmittag, die Schreie waren in ein Wimmern übergegangen, trugen sie den toten Körper des einen der Jungen aus der Zelle. Da stand Jaroslawas Entschluss fest.
»Grieche, Grieche«, rief sie.
Erst wollte er keine Notiz von ihr nehmen, tat es dann aber doch.
»Was willst du?«
»Lass mich die Jungen pflegen!«
»Und du meinst, dass du das kannst? Dass du genug darüber weißt, was Jungen und Mädchen unterscheidet?«
Da bekam sie einen kalten Blick, dass es selbst den Griechen fröstelte. »Glaub mir, ich weiß genug darüber. Mehr als genug.«
»Gut, dann versuch es. Manchmal übersteht es keiner, manchmal einer, das ist normal. Gehört zum Geschäft.«
Sie hatte geglaubt, dass sie nichts mehr erschüttern konnte. Sie hatte sich getäuscht. Die Knaben lagen bandagiert. Aus dem Verband um den Unterkörper ragte eine kleine Röhre, aus der sie Harn lassen konnten. Anatolijs Haar hatte jegliche Farbe verloren und war weiß. An dem unguten Glanz ihrer Augen erkannte sie, dass die beiden Knaben fieberten.
»Ich brauche kaltes Wasser und Leinen.«
»Das ist hier kein Gasthof«, brummte der Grieche.
»Willst du, dass sie überleben?« Widerwillig gab er dem Mann, der bei den Knaben saß, Anweisung, sooft es das Mädchen verlangte, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, denn das war kühl.
Von dieser Stunde an pflegte Jaroslawa Anatolij und den anderen Jungen, machte ihnen Wadenwickel, um das Fieber zu senken, tupfte ihre Stirn, erzählte ihnen Geschichten und sang ihnen die traurigen, aber tröstlichen Lieder ihrer Heimat vor. Sie musste sich überwinden, um den grausigen Anblick zu ertragen, wusch ihre Wunden und klemmte den Knaben ein Holz zwischen die Zähne, wenn sie Wasser lassen mussten, weil der Urin wie Eisenschmelze brannte. Das Wasser für die Waschungen ließ sie vorher abkochen und gab heilkräftige Kräuter hinein. Sie ließ sich Zwiebelsaft geben und Borretsch, Kapern und Majoran. Der Grieche schimpfte zwar wegen der Kosten und drohte ihr, sie in ein Hafenbordell zu geben, um die Kosten wieder einzutreiben. Doch er sah auch, dass sich der Zustand der Jungen verbesserte. Vor allem aber sprach sie den beiden Knaben Mut zu, die, ihrer Männlichkeit beraubt, sich schämten und meinten, auch um ihre Zukunft gebracht zu sein, so weder Frau noch Mann seiend, nur ein Gespött für die anderen. Jaroslawa fragte sie, ob sie wirklich
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