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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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sehr dicht hinter die Amme. »Hör gut zu. Du tust, was dir Jaroslawa befiehlt. Halte dich dran, wenn dir dein Leben lieb ist. Wenn mir etwas zustößt, weil du mit dem Großherrn geredet hast, erledigt dich ein anderer. Sei klug Amme, sei klug.« Erschrocken wandte sie sich um und schaute in zwei Augen, die nun nicht nur blau, sondern auch unergründlich wie die Wolga waren, an deren Ufer er geboren wurde. Hasan bluffte nicht. Mit Zorn und Bitterkeit im Herzen fügte sich die Amme, die nun die überflüssige Milch abpumpen musste, dem Befehl des Eunuchen.
    Fortan kümmerten sich beide Frauen um den kleinen Mehmed, einander hassend, das Kind aber liebend, denn auch Daje-Chatun wuchs der jüngste Sohn des Sultans ans Herz. Falls der Großherr seinen Sohn einmal zu sehen wünschte, würde Jaroslawa nicht zugegen sein. Allein, dazu kam es nicht, weil Murad kein Bedürfnis verspürte, seinen dritten Sohn zu besuchen. Nicht nur die Eunuchen, auch die anderen Konkubinen Murads standen auf Jaroslawas Seite. Ihr Verhalten der Russin gegenüber wandelte sich von Rivalität in Mitleid, weil es noch nie vorgekommen war, dass eine Konkubine, die dem Sultan einen Sohn geboren hatte, so schlecht behandelt wurde.
    Für Jaroslawa war ihr Sohn ein Wunder, denn allein seine Existenz vertrieb die Erinnerungen, die sie peinigten. Seitdem Mehmed auf der Welt war, quälten sie sie nur noch selten.
    Es waren furchtbare Erinnerungen. Sie sah sich als Mädchen von dreizehn Jahren, Tochter eines Herrn über mehrere Dörfer südlich von Nowgorod am Mittellauf der Wolga. Schreckensbilder quälten ihre Seele – eine Staubwolke, die von den Rössern der Tataren aufgewirbelt wurde, Männer mit wettergebräunten Gesichtern und schmalen Augen, das Funkeln des Stahls ihrer Säbel in der Sonne, Feuersbrünste, die von Haus zu Haus übergriffen, schreiende Menschen, wimmernde Frauen. Jaroslawa hatte in den Brombeersträuchern gesessen, als die Tartaren der Goldenen Horde über ihr Dorf herfielen. Sie hatte gesehen, wie der Säbel eines Mannes mit schwarzem Schnauzer ihrem Vater den Kopf spaltete und wie ihre Mutter vergewaltigt wurde, bevor man sie abschlachtete. Jede Einzelheit hatte sie wahrgenommen, weil sie nicht wegzuschauen vermochte, als hielte ein böser Geist ihren Kopf wie in einem Schraubstock fest, nachdem er die Lider festgeklebt hatte, damit sie sie nicht schließen konnte. Diese Bilder hatten die Gefühle des lautlos schreienden Mädchens erstickt.
    Schließlich fand sie ein Tatar, der sich in dem Brombeerbusch erleichtern wollte. Er verschaffte sich auch Erleichterung, nur auf andere Art, aber das ging sie schon nichts mehr an. Sie wusste jetzt, wie der Teufel aussah, von dem der Pope in der Kirche immer gesprochen hatte. Er nahm sie mit ins Lager und stieß sie zu den jüngeren Frauen und Männern, die auf dem Sklavenmarkt in Kaffa verhökert werden sollten. Die Älteren und Gebrechlichen hatten die Tartaren niedergemacht. Über den Dörfern am Mittellauf der Wolga hingen schwarze Rauchwolken und schillernde Schwärme von Fliegen.
    Die Tartaren gaben den Gefangenen Wasser und Brot, doch Jaroslawa hatte weder Durst noch Hunger. Sie wollte leicht werden, ganz leicht wie eine Feder, um in den Himmel aufzusteigen, dorthin, wo ihre Eltern wohl schon weilten.
    Einmal spürte sie, dass sie zwei Augen ansahen. Ein etwa zehnjähriger Knabe mit wolgablauen Augen und weizenblonden Haaren starrte sie an. Als er merkte, dass das traurige Mädchen zurückschaute, fing er an, Grimassen zu schneiden. Dann ahmte er die Tartaren nach, wie sie vom Pferd sprangen, o-beinig umherhumpelten und schielten, und dabei machte er ihre Sprache nach. Immer wilder wurden seine Späße, bis es ihm durch harte Arbeit gelungen war, ihr die Andeutung eines Lächelns zu entringen. Er brachte sie schließlich auch dazu, etwas zu essen und zu trinken. Von diesem Tag an blieben sie zusammen, den ganzen Weg durch die südrussische Steppe nach Kaffa. Es gelang ihr, den stumpfen Tartaren dazu zu bewegen, dass er Anatolij, den Sohn des Dorfschmieds, an denselben Sklavenhändler, einen einäugigen Griechen, verkaufte. Sie wusste ja inzwischen, was dem Tataren gefiel. Diesmal ging es ihr sogar gut dabei, weil sie durch die Anwendung gewisser Künste lernte, Macht auszuüben, und sogar ihr Ziel erreicht hatte.
    Der Palast des Griechen erhob sich ein Stockwerk über die anderen Häuser der Gasse, als wolle er mit seinem Reichtum und seiner Bedeutung prahlen. Den Eingang rahmten

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