Byzanz
glaubten, dass dieser kleine Muskel sie zum Mann machte. Dann spottete sie über den Tartaren, dessen Gemächt ihn zum Sklaven erniedrigte. Instinktiv verstand sie, dass die Wunden des Körpers verheilen und vernarben würden, nicht aber die der Seele. Die Schmerzen blieben, man konnte sie nur lindern und lernen, mit ihnen zu leben. Ging es ihr denn anders?
Nachdem Anatolij und der andere Junge genesen waren, hatte der Grieche Jaroslawa eigentlich behalten wollen, damit sie auch die nächsten Knaben, die er verstümmeln ließe, pflegen würde.
»Und wenn du mich deinen Kötern zum Fraß vorwirfst, ich tue es nicht!«, hatte sie ihm sehr überzeugend angekündigt. »Ich habe viel für dich getan, jetzt tu etwas für mich. Verkauf mich mit Anatolij an den gleichen Käufer.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil ich dir geholfen habe.«
»Ja, und?«, lachte der Grieche.
»Weil es gut für dich ist, jetzt auch gut zu mir zu sein.« Der Grieche schüttelte den Kopf, doch verkaufte er beide tatsächlich an denselben Händler, weil er fürchtete, andernfalls das Schicksal irgendwie herauszufordern.
So hatten sie es zuwege gebracht, dass sie zusammenbleiben konnten, bis in den Harem des Sultans hinein. Aus Anatolij war Hasan geworden, der sich mit seinem freundlichen Wesen und seinen Späßen, mit seinen schauspielerischen und musikalischen Fähigkeiten rasch die Sympathie der anderen Eunuchen erobert hatte, besonders die des hamdun gewann.
Eines Tages befahl der Sultan, dass der zweijährige Mehmed mit Amme und Mutter nach Amasia zu bringen sei, dort, wo er selbst zur Welt gekommen und in seiner Jugend einmal Landpfleger gewesen war. Inzwischen herrschte hier Ahmed Tschelebi, Murads älterer Sohn.
Am Abend vor der Abreise wünschte Daje-Chatun, Jaroslawa unter vier Augen zu sprechen. Die Russin wusste, wie viel Überwindung dieser Schritt die Amme kostete. »Ich bin beunruhigt«, begann Daje-Chatun, die nach dem Tod ihres Sohnes im Kindbett Mehmed noch lieber gewonnen hatte, ja, immer mehr als eigenen Sohn betrachtete.
»Ich auch, aber nicht nur wegen der gefährlichen Reise, für die seine Gesundheit noch nicht robust genug ist«, antwortete die Russin. »Nur ein Prinz kann Sultan werden, die anderen beiden werden sterben. Jetzt wird der Kleine zu seinem Halbbruder geschickt, Murads Lieblingssohn, der gleichzeitig Mehmeds Rivale und Todfeind ist. Ahmed Tschelebi hat kein Interesse, Mehmed am Leben zu lassen, den er ohnehin eines Tages töten lassen würde, wenn er Sultan ist. Vergiss nicht, Murad liebt Mehmed nicht.«
»Ich weiß«, erwiderte die Amme betrübt. »Für die Gesundheit des Kleinen können wir Vorkehrungen treffen.«
»Für sein Leben auch.« Mehr musste Jaroslawa nicht sagen. Der Gedanke, der im Raum stand, war einfach ungeheuerlich, zugleich aber auch die einzige Chance für ihren Sohn.
»Ich hasse dich, Russin«, sagte Daje-Chatun.
»Aber du liebst Mehmed, genauso wie ich.«
Die Amme nickte. »Was können wir tun?«
»Bitte darum, dass mein Eunuch uns begleitet. Sage, du würdest dich dann sicherer fühlen.« Die Amme runzelte die Stirn. Ausgerechnet den Mann, der sie bedrohte, sollte sie als Begleitung erbitten?
»Er wird alles tun, um Mehmed zu schützen, alles!« Es verblüffte Jaroslawa, dass die Amme begann, wie ein kleines Mädchen an ihren Nägeln zu kauen. »Im Grunde kommen wir doch miteinander aus. Dem Kleinen droht Gefahr, er braucht zwei Mütter, die ihn beschützen. Schließen wir uns zusammen. Für ihn! Bitte! Ist er nicht auch für dich das Licht der Welt?«, beschwor sie Daje-Chatun mit großen Augen und der sanftesten Stimme, die ihr möglich war, wobei ihr Türkisch die dunkle Melodik des Russischen annahm.
»Ja, das ist er wirklich, das Licht der Welt.« Die Amme willigte ein, und Jaroslawa küsste ihr zum Dank die Hände.
So machte sich im Sommer 1434 eine Kutsche mit dem Prinzen, seiner Mutter, seiner Amme, dem Eunuchen Hasan und einer kleinen Eskorte auf den Weg nach Amasia.
15
Notaras-Palast, Konstantinopel
Er sah gut aus. Nichts erinnerte mehr an den linkischen Siebzehnjährigen, der einst, nachdem ihn der Vater im Jähzorn beinahe totgeschlagen hatte, nach Bursa gegangen war, um bei dem Juden Jakub Alhambra das Kaufmannshandwerk zu erlernen. Im ersten Moment hatte Eirene den schlaksigen jungen Mann, der über das ganze Gesicht grinste, gar nicht erkannt.
»Habe ich mich so verändert?«, fragte Demetrios.
»Nein, ja, ach, du bist es ja! Es ist einfach schön,
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