Byzanz
dich vermisst, Vater. All die Jahre. Wenn du mich aufnimmst, will ich nicht mehr fortgehen.«
»Ich habe dich auch vermisst, Sohn!«, gestand der Alte leise ein und wischte sich verstohlen das Wasser aus den Augen.
»Was treibt ihr eigentlich dahinten?«, rief ihnen Eirene zu.
»Wir fragen uns, welches Begrüßungsessen du für meinen heimgekehrten Sohn auftischen wirst. Und wage es ja nicht zu geizen!«, rief vergnügt der Alte. Altersbrüchig ist seine einst kräftige Stimme geworden, dachte Demetrios. Vom oberen Treppenpodest aus fühlte er sich beobachtet, deshalb warf er einen Blick dorthin und entdeckte einen Mann, wohl in seinem Alter, dessen Schlankheit im Gegensatz zu seiner Schlaksigkeit herb wirkte. Der Blick seiner stechenden Augen grenzte an Körperverletzung.
»Wer ist das?«, fragte er in die Runde und wies mit dem Kopf nach oben.
Eirene folgte seinem Blick und erklärte: »Gennadios Scholarios, Annas Hauslehrer.«
»Was lernst du denn bei dem?«
»Lesen und schreiben und rechnen, aber auch wie es mit Gott ist.«
»Und wie ist es mit Gott?«, fragte er seine Nichte.
»Das ist es ja eben! Ich glaube fast, er weiß es selbst nicht. Aber verrat mich bitte nicht«, raunte sie ihm zu.
»Nein, aber Geheimnis gegen Geheimnis, Nichte.« Und schon flüsterte er ihr ins Ohr: »Ich habe in Bursa drei Götter kennengelernt.«
Anna riss die Augen auf. »Drei?«
»Ja, drei, den Gott der Juden, den Gott der Türken und den Gott der Christen, also unseren.«
»Und wie sind sie?« Anna bekam vor Aufregung Flecken im Gesicht. Drei Götter, nicht auszudenken!
»Wenn ich es dir sage, darfst du es keinem verraten. Versprochen?«
»Versprochen. Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen!«
»Gut, ich glaube, die drei Götter sind ein und derselbe Gott, nur verschieden gekleidet. Verstehst du? Gott liebt es, sich zu verkleiden.« Vor Schreck hielt sich Anna den Mund zu.
»Wer flüstert, der lügt«, rief Theodora, die sich ausgeschlossen fühlte, in patzigem Ton.
»Ja wirklich, was habt ihr die ganze Zeit da zu tuscheln?«, unterstützte Eirene den Protest ihrer jüngeren Tochter.
»Nichts, nichts«, sagte Anna mit unschuldigem Augenaufschlag.
»Gar nichts«, bestätigte Demetrios. Sowohl Eirene als auch die eifersüchtige Theodora schauten Onkel wie Nichte skeptisch an.
»Wir haben nur über Gott gesprochen«, log Anna mit der Wahrheit und platzte fast vor Vergnügen. Der Schalk ihn ihren Augen warf Junge wie ein Kaninchen.
»Über Gott?« Eirene schüttelte den Kopf.
»Wer’s glaubt, wird selig«, spottete Theodora.
Das alles schmälerte mitnichten das Vergnügen, das Demetrios empfand. Doch einen Menschen vermisste er schmerzlich. »Wo ist Loukas? Auf hoher See?«
»Nein, Loukas fährt nicht mehr zur See. Er ist bei der Sitzung im Geheimen Rat. Aber das ist nicht weniger gefährlich, als auf dem Meer herumzuschippern, nur viel ärgerlicher!«, sagte Eirene.
16
Kaiserpalast, Konstantinopel
Die Sitzung des Geheimen Rates schleppte sich träge dahin. Man hätte gut und gerne dem Tod einer Fliege an der Wand zuschauen können und das im Vergleich zu der Besprechung noch als aufregend empfunden. Die dicken Mauern trotzten zum Glück der Sonne und bewahrten ein erträgliches Klima. Die Geheimen Räte waren innerlich bereits im Aufbruch, als Johannes VIII. noch einmal um Aufmerksamkeit für Fürst Alexios Angelos bat, der Kaiser und Rat einen Vorschlag unterbreiten wolle.
Loukas reagierte alarmiert auf die Ankündigung, wie immer, wenn sein Erzfeind eine Initiative startete. Der Hass, den die beiden Männer füreinander empfanden, hatte sich in all den Jahren nicht abgekühlt. Schon stand der Fürst auf und blickte selbstbewusst jeden der Männer in der Runde an, zuerst den Kaiser, dann den Großadmiral, den Flottenadmiral und Joseph II., den Patriarchen von Konstantinopel, dessen weißer Vollbart ihm beeindruckend bis über die Brust wallte. Weiter schweifte der Blick des Fürsten zu Georgios Sphrantzes, der dank der Stiftung der glücklichen Ehe zwischen Johannes und Maria von Trapezunt zum Großkanzler aufgestiegen war, schließlich zum Oberbefehlshaber Kantakuzenos und von ihm zum Ersten Minister Metochites. Am Ende streifte sein grimmiger Blick Loukas Notaras. »Ehrenwerte Mitglieder des Rates, der Feind steht vor den Toren der Stadt und des Reiches. Und nicht nur dort!«
»Steht er das nicht immer in Eurer Vorstellung, Fürst? In Euren, wie soll ich es nennen, Albträumen?«,
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