Byzanz
hatte sich Helena unter einer kleinen Zypresse auf einer Bank niedergelassen, um sich etwas auszuruhen. Das graue Nonnenkleid verlieh der immer noch schlanken alten Frau mit den lockigen Haaren in reinem Silber eine Zeitlosigkeit. Bis zu ihrem Tod würde sie sich nicht mehr verändern. Große Gesellschaften strengten inzwischen die alte Dame an, denn sie hatte sich nicht nur an die Stille des Klosterlebens gewöhnt, sondern genoss es auch, sich mit Gott und ihrem kleinen Garten zu beschäftigen. In ihrem langen Leben hatte sie mehr als genug Schlimmes gesehen und erlebt. Sie wollte nichts mehr hören, so wenig wie möglich mit dem Schlachthaus, das man Welt nannte, zu tun haben. Wie trösteten sie da ihre täglichen Mühen mit der Pflege der Pflanzen! Einige benötigten viel Wasser, andere wenig, manche liebten den Schatten, manche die Sonne. Zuweilen haderte sie mit Gott, dass er in den blühenden Garten den Menschen gesetzt hatte, der sich wie ein böses Kind benahm und erst zufrieden war, wenn der letzte Halm geknickt, die letzte Pflanze ausgerissen und das letzte Buschwindröschen zertreten war. Es kam ihr widersinnig vor, dass Gott, der einen Garten erschaffen hatte, keinen Gärtner, sondern ein wildes Tier hervorgebracht hatte. Irgendetwas stimmte nicht an der Schöpfung. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Wozu sich die wenigen Jahre vergällen, die ihr noch blieben, indem sie über Dinge nachdachte, die sie ohnehin nicht ändern konnte? Es war schon schlimm genug, dass sie noch immer ein Auge auf die Politik haben musste, weil Johannes leider weder ein Manuel war noch ein Mann wie ihr Sohn Konstantin. Loukas setzte sich zu ihr.
»Deine Familie wächst«, sagte sie, ohne aufzusehen.
»So habe ich mir das immer gewünscht.«
»Nicht nur die Familie«, fügte sie kalt hinzu und schaute ihn prüfend an.
»Auch die Geschäfte gehen ordentlich.«
»Ordentlich? Mach dich nicht lustig über mich. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass du mit den Genuesen glänzende Geschäfte machst!«
»Es sind gute Geschäfte. Ich kann nicht klagen.«
»Mit den Venezianern doch auch?«
»Das hörst du selbst im Kloster?«
Helena neigte sich zu dem Mann ihrer Enkelin hinüber. »Man kann es überall hören. Glaube nicht, dass alle, die dir freundlich begegnen, dir auch wohlgesonnen sind. Der Neid ist eine furchtbare Macht. Im Verein mit seiner Schwester, der Gier, kann er zum Mörder werden. Sei auf der Hut, Loukas!«
»Das bin ich, schon wegen der Kinder. Ein Familienvater kann es sich nicht leisten, in dieser Wolfswelt unvorsichtig zu sein.«
»Na, offensichtlich doch, wenn so viel sogar bis zu mir ins Kloster dringt.«
»Welchen Rat gebt Ihr mir?«
»Lass deine Wohltätigkeit nicht zu groß werden, denn an ihrer Größe errechnen spitzfindige Leute deinen Reichtum. Schaff dir Verbündete in meiner Familie, denn Johannes ist ein guter, aber nicht sehr beständiger Junge. Er wird im Herzen immer den Fürsten Angelos vorziehen. Komm, ich will dich mit jemandem bekannt machen.« Wie ein junges Mädchen erhob sich die alte Kaiserin und steuerte auf einen kleinen Kreis von Leuten zu, die an einem Brunnen standen, dessen Fontäne aus dem Maul eines Delfins sprudelte.
Zwischen dem Oberbefehlshaber und dem Ersten Minister sah Loukas einen hochgewachsenen Mann von Anfang dreißig mit ausgeprägten, aber regelmäßigen Gesichtszügen und dunklem Teint. Seine schwarzen Haare fielen in Wellen hinter seine Ohren und schienen sich mit dem Vollbart zu vereinen.
»Meine Herren«, sagte die Kaiserin, »Ihr gestattet, dass ich meinen Sohn entführe.«
»Aber natürlich«, versicherten die beiden Hofleute.
Helena erkundigte sich bei Loukas, ob es nicht einen ruhigeren Ort gäbe, so führte er die beiden Palaiologen in sein Arbeitszimmer.
»Ich wollte dich gern mit meinem Sohn Konstantin bekannt machen«, sagte die alte Kaiserin.
»Ich habe schon viel von Euch gehört, Hoheit.«
»Und ich von Euch«, bestätigte Konstantin, der eine angenehme Stimme besaß. »Ich verstehe etwas vom Krieg und von der Verwaltung, Ihr, Loukas, seid ein Kaufmann. Erzählt mir, wie man die wirtschaftliche Lage des Reiches verbessern kann.«
In der Form eher zurückhaltend, im Inhalt klar und deutlich entwarf Loukas einen Plan, wie man schrittweise die byzantinischen Kaufleute stärkte und die Italiener schwächte. »Zuerst müssen wir die Steuer für unsere Kaufleute drastisch senken. Wenn der Adel in den Handel mit einsteigen würde, ergäbe
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