Byzanz
mich auf dem Rückweg hoffnungslos verlaufen.«
Das amüsierte Anna. »Ein so weltläufiger Mann wie Ihr?«
»Vielleicht liegt darin ja der Grund für meine Weltläufigkeit, in der Unfähigkeit, mich zu orientieren. Jedenfalls lerne ich so ungewollt immer neue Orte kennen.«
»Niemand verläuft sich nach Konstantinopel. Jedenfalls nicht aus Versehen.« Schweigend verließen sie das Kloster und gaben einen seltsamen Anblick ab. Ein Mann und ein Mädchen, das seine Tochter sein konnte, gingen stumm in einer merkwürdigen Spannung nebeneinanderher, gefolgt von vier bewaffneten Männern, die entweder auf beide oder auf das Mädchen oder auf den Mann achtgaben. Für einen außenstehenden Beobachter wäre das zumindest nicht leicht zu beurteilen gewesen. Das Mädchen konnte sich nicht daran erinnern, jemals so lange und erst recht nicht beim Gehen auf ihre Fußspitzen gestarrt zu haben, als würde aus ihrem großen Zeh die Erleuchtung hervortreten.
»Ihr könnt sehr gut Latein«, sagte er, um überhaupt etwas zu sagen.
»Oh, danke.«
»Es ist eine Schande.«
»Wie, dass ich so gut Latein kann?«, fragte sie erschrocken.
»Nein, nein, das ist wundervoll. Es ist eine Schande, dass ich des Griechischen nicht mächtig bin«, beeilte er sich zu versichern. »Wie kann man für gelehrt und für gebildet gelten, wenn man die Sprache Platons und Plotins nicht beherrscht. In welcher gelehrten Unwissenheit trotten wir wie die Schafe auf den fetten Weiden der Wissenschaft und sind obendrein noch stolz auf das Latein, indem wir blöken?«
»Ihr könntet Griechisch lernen.«
»Das will ich versuchen, wenn mir die Zeit dafür bleibt. Aber gerade jetzt, wo ich es dringend benötige, steht es mir nicht zur Verfügung.«
»Alle, mit denen Ihr sprechen wollt, verstehen Latein.«
»Aber die Bücher nicht. Ich stehe in wahren Schatzhäusern und kann die Juwelen nicht erkennen. Wenn man die Sprache, in der die Bücher verfasst wurden, nicht beherrscht, bleibt man blind in einer Welt aus Licht.«
»Blind in einer Welt aus Licht, taub für die Worte der Offenbarung«, sagte sie mehr für sich. Sie verstand seinen Schmerz, dass er Bücher in der Hand hielt und nicht herausfinden konnte, ob sie das Werk eines allseits gepriesenen Scharlatans oder eines wahren Philosophen waren. »Stimmt, Ihr seid in einem hohen Maß hilfsbedürftig. Ihr wisst, was wichtig ist, könnt es aber nicht erkennen. Ich kann es erkennen, weiß aber nicht, ob es wichtig ist. Vielleicht kann ich Euch ein bisschen helfen. Ich übersetze Euch, worum es in den Schriften geht, und von Euch erfahre ich, was in den Schriften steht. Wir haben beide eine Form von Blindheit, Ihr in der Sprache, ich im Inhalt. Nutzen wir das Geschenk, dass wir einander unsere Blindheit ausgleichen können. Ich helfe Euch, und Ihr belehrt mich dafür!«
»Das würdet Ihr tun, mir wirklich helfen?«
»Wenn Ihr im Gegenzug alle meine Fragen beantwortet.«
»Ob ich das kann? Ich werde es jedenfalls versuchen, versprochen.«
»Wir müssten natürlich zuerst mit Bessarion reden«, wandte sie ein, um die Form zu wahren.
»Ja, das müssen …«
Dem Lateiner blieb plötzlich das Wort im Halse stecken, und sein Gesicht verdüsterte sich. Vor ihm stand eine Gruppe von fünf Dominikanern, ganz vorn ein knochiger Mann, der ausgemergelt wirkte und dessen Augen fiebrig glänzten. Hass entdeckte Anna in ihnen.
»Der Verräter! Der Judas! Gehen wir schnell weiter, meine Freunde, es stinkt nach Hölle«, sagte der Mönch mit knarrender Stimme.
»Zorn ist eine Todsünde, Innocentius«, antwortet Nikolaus von Kues gelassen.
»Heiliger Zorn nicht, aber die Wollust ist es, die Gier nach Mädchenfleisch. Es stinkt nach Sünde! Sünde, meine Brüder in Christo, Sünde, uh, wie das stinkt!« Bei diesen Worten durchbohrte sie der Blick des Dominikaners. Ihr wurde eiskalt. Gleichzeitig empörte sie die Art und Weise, wie der Ausgemergelte über Nikolaus und über sie sprach. Nichts Weiches war an ihm, kein Gramm Fett. Nicht einmal an seinen Ohrläppchen, weil er keine besaß. Es hieß, Teufel besäßen an einem der beiden Füße, der andere war ja laut verlässlicher Berichte ein Pferdefuß, sechs Zehen und an den Ohren keine Läppchen. Sie ahnte, dass der Mönche in Phantasien schwelgte, die jenseits ihrer Vorstellungskraft lagen und in die sie nie zu gelangen wünschte. Sie zweifelte daran, dass die Welt, in die der Dominikaner vorgedrungen war, Gottes Welt war.
»Pfui, wie unanständig Ihr doch seid,
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