Byzanz
ohne Kirchenunion würde es keinen Kreuzzug geben. Mochten sich die Narren an der Kreuzzugsidee berauschen, umso besser! Er würde versuchen, die Kircheneinigung zu verhindern.
26
Basiliuskloster, Konstantinopel
Vergeblich wartete Anna am nächsten Tag in der Bibliothek auf Nikolaus. Wo blieb denn nur der Gefährte ihrer Bücherjagd? Was trödelte, was säumte er, was vergeudete er ihre wertvolle Zeit? Schließlich eilte sie zu seiner Zelle. Vielleicht hatte er ja nur, unverständlich genug, die Stunde vergessen. Ihrem Klopfen antwortete ein klägliches »Herein«. Verwundert trat sie ein. Das Bild, das sich ihr bot, war niederschmetternd.
Nikolaus kauerte wie ein geprügelter Hund auf dem Bett und bedeckte mit dem rechten Unterarm sein Gesicht. Er hob ihn leicht an und blinzelte unter der Elle hindurch zur Tür, um herauszufinden, wer ihn besuchte. Als er Anna erkannte, sprang er stöhnend auf und errötete. Es war ihm peinlich, dem Mädchen in diesem jämmerlichen Zustand entgegenzutreten. Rechtes Auge, Wangen und Mundwinkel schimmerten in allen Farben wie ein Apfel mit Druckstellen.
»Wer hat dir das angetan?«, fragte sie erschrocken und merkte dabei nicht, dass sie ihn duzte.
»Ich wurde überfallen und zusammengeschlagen«, antwortete er schwankend zwischen Schmerz und Scham.
»Wer …?« Mitten in der Frage fiel ihr jedoch die Antwort ein. »Innocentius?«
Nikolaus nickte. »Er hat zwei Schläger bezahlt, die mich vor seinen Augen verprügelten. Danach empfahl er mir dringend, abzureisen und nicht mehr die Kreise der Abgesandten des Konzils zu stören. Andernfalls …« Er brauchte nicht weiterzusprechen, er wollte auch nicht weitersprechen. Zu sehr schämte er sich für den Dominikaner. »Es ist so würdelos. Ich fühle mich so beschmutzt, weil jemand es gewagt hat, mich anzufassen, mich zu schlagen. Nicht einmal mein Vater hat das getan. Er hat Gewalt verachtet.«
»Der Kaufmann«, sagte Anna mit leiser Ironie.
»Ja, der Kaufmann. Für ihn war alles Verhandlungssache.« Nicht die körperlichen Schmerzen, sondern die Dreistigkeit des Übergriffs setzten dem selbstbewussten Mann zu. Anna nahm kurz entschlossen das Messer, das auf dem Tisch lag, schnitt ein Stück Stoff von ihrem weiten Ärmel ab, tauchte ihn in die Holzschüssel und kühlte sein Auge, seine Stirn. Kühlen war allerdings zu viel gesagt, dazu stand das Wasser schon zu lange im Zuber in seiner Zelle, doch darauf kam es nicht an, sondern auf die Geste, den Trost, der sich damit verband. Sie berührten sich zum ersten Mal, aber das fiel weder ihm noch ihr auf. Nikolaus atmete tief ein. Sie roch nach Lavendel und Minze, süß, rein und frisch. In irgendeinem Traktat hatte er einmal gelesen, dass Jungfrauen so dufteten. Er schloss die Augen, weil er die tupfenden Berührungen ihrer Hand genoss und Scheu empfand, ihr dieses Wohlgefühl zu offenbaren. Anna dachte hingegen an gar nichts, sondern konzentrierte sich darauf, ihm Linderung zu schaffen. Er kam ihr plötzlich so vertraut vor wie ihr Bruder, vertrauter noch als ihr Onkel Demetrios. Weglose Traurigkeit überfiel sie. »Woher kommt nur der ganze Hass unter uns Christen?«
»Von der Streberei, sich vor aller Welt als Gottes Musterschüler zu erweisen. Davon, dem Evangelisten Johannes den Rang abzulaufen, denn von ihm heißt es, er sei der Jünger, den Jesus lieb hatte. Von der dummen Rechthaberei. Jeder glaubt, dass nur seine Sicht der Dinge stimmt, und der Rest ist bestenfalls schlicht falsch, schlimmstenfalls häretisch. Aber warum soll Gott nicht in vielen Sprachen reden, und weshalb führen aus diesem Grund nicht viele Wege zu ihm? Entscheidend ist doch, dass man bei ihm ankommt. Ich halte das Konzil ja für richtig, es darf nur nicht über dem Papst stehen. Selten stimmt das Entweder-oder, denn die Gegensätze haben keinen Bestand, sie brechen auf und vergehen wieder.« Ihre großen, weit offenen Augen, mit denen sie ihn neugierig anschaute, verunsicherten ihn. Sacht, aber bestimmt nahm er ihre Hand von seiner Stirn, weil er das Gefühl, das ihre Berührung auslöste, für unziemlich hielt. »Danke. Es geht jetzt.« Das Mädchen ließ die Hand sinken. Nun, wo er die Augen ganz öffnete, wagte sie es auf einmal nicht, ihn anzuschauen, als hätten sie etwas Verbotenes getan, das sie nun sorgsam verschweigen mussten, ein Geheimnis, das sie nicht teilten, sondern voreinander bewahrten. Im Nachhinein machte sie die kurze Intimität verlegen, deshalb irrten ihre Blicke im Zimmer
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