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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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in das Zimmer ihrer Tochter zurück. Kaum hatte Eirene die Tür geschlossen, sprudelten Tränen und Worte im Wettstreit aus ihr heraus. Die ganze Geschichte, so wie Anna sie erlebt hatte. So wie sie das Geschehene sah und nicht die anderen meinten, wie es sei.
    »Ach, Tochter«, seufzte Eirene, nachdem sie alles angehört hatte. Dieses ganze schreiende Herzeleid. Sie nahm Anna in den Arm und streichelte sie tröstend. »Meine Große«, sagte sie zärtlich.

29
    Notaras-Palast, Konstantinopel
    »Die Würfel sind leider gefallen«, sagte Loukas beim Abendessen. Er trank von seinem Rotwein, aß etwas lustlos Reis mit Schaffleisch, bevor er der Familie von der außergewöhnlichen Audienz der Lateiner beim Kaiser und der Beratung im Geheimen Rat berichtete, die sich daran angeschlossen hatte. Obwohl er weder für die Person noch für die Mission des Nikolaus von Kues Sympathie aufbrachte, wollte er den Eindruck nicht leugnen, den der Lateiner auf ihn gemacht hatte. Der Mann war wortgewaltig und überzeugend. Im Disput hatte er die Abgesandten des Konzils von Basel schlau in Widersprüche verwickelt und ihnen anschließend rhetorisch den Todesstoß versetzt. Der Bericht ihres Vaters löste bei Anna ein Chaos der Gefühle aus. Einerseits erfüllte sie der grimmige Respekt, den ihr Vater dem politischen Gegner zollte, mit Freude und mit Stolz, andererseits fühlte sie sich vom Erfolg des Mannes, der sie verraten hatte, verhöhnt. Sie wünschte ihm Sieg und Niederlage in einem. Anna badete in diesen pathetischen Gefühlen, um nicht den Gedanken an sich heranzulassen, dass er ein gestandener Mann war und sie noch ein sehr junges Mädchen. Schließlich gestand sie sich ein, dass es ihm wohl lediglich gefallen hatte, gelegentlich mit ihr zu reden. Was hätte er auch mehr in ihr sehen können als einen netten Zeitvertreib? Und sie hatte sich schon eingebildet, ihm ein gleichwertiger intellektueller Partner zu sein.
    »Entweder hat Anna Schnupfen oder Liebeskummer. Jedenfalls schnieft sie die ganze Zeit«, bemerkte Theodora boshaft mit der ganzen Spitzfindigkeit einer Zwölfjährigen. Anna warf die Gabel in den Reis und schluchzte auf. »Ich weiß nicht, warum ich mir ständig diese Gemeinheiten gefallen lassen muss!«
    »Iss weiter, Anna, und du, Theodora, lässt deine Schwester zufrieden.«
    »Wieso, ich hab doch gar nichts gemacht?«, fragte Theodora in schönster Unschuld. Eirene drohte ihr mit dem Finger. »Du weißt schon, was du gemacht hast.«
    »Wenn euer Vater erzählt, habt ihr Kinder den Mund zu halten«, schimpfte Thekla.
    »Wir Kinder halten ja den Mund, es sind immer nur die Mädchen, die ständig reden und zanken müssen!«, empörte sich das Gerechtigkeitsgefühl in Mitri.
    »So sind nun mal die Frauen«, sprang Nikephoros seinem Enkel bei. »So, und jetzt erzähle weiter!«, sagte er zu Loukas.
    »Ich habe vor der Kirchenunion gewarnt, aber die Herren wissen ja alles besser!« Der Ärger des Admirals, dass sich diesmal Alexios Angelos, der den Patriarchen auf seiner Seite wusste, durchgesetzt hatte, war Loukas anzusehen.
    »Die Würfel sind leider gefallen«, sagte Loukas Notaras noch einmal. Kaiser Johannes VIII. Palaiologos würde mit Joseph II., dem Patriarchen von Konstantinopel, mit seinem Bruder Thomas, mit Bessarion, den man zum Patriarchen von Nikaia erheben würde, dem Patriarchen Isidor von Kiew, Markos Eugenios, dem Patriarchen von Ephesos, Gennadius Scholarios und dem Philosophen Georgios Plethon nach Ferrara zum Konzil mit der Römischen Kirche aufbrechen. Seine Miene war düster, als er bei Tisch die katastrophalen Folgen einer Union grob umriss. »Und noch in Konzilslaune wollen die Herren dann ein bisschen Kreuzzug veranstalten. Zur Feier der Union ein bisschen Türkenblut vergießen und ein bisschen Christenblut opfern.« Er winkte ab und atmete tief aus. Als wollte er sagen: Es lohnt sich nicht, darüber nachzudenken. Alsdann legte er eine kleine, höchst effektvolle Pause ein. Wider Erwarten hellten sich seine Gesichtszüge plötzlich auf; nicht dass sie Freude ausstrahlten, aber das Finstere löste eine Art feierlicher Ernst ab. Sein Körper straffte sich, und obwohl er saß, hatte man das Gefühl, dass er stand, kerzengerade, gebieterisch, sodass sich Eirene bei dem Gedanken ertappte: fast ein Kaiser.
    »Auch auf mich kommt durch die Abwesenheit des Kaisers mehr Arbeit zu. Johannes hat verkündet, dass sein Bruder Konstantin und ich für die Dauer seiner Abwesenheit das Reich regieren

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