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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Armen wie ein Reiher, der zum Flug abheben wollte. »Wir haben es gefunden, wir haben es gefunden!« Nikolaus wischte sich mit den Ärmeln seines Mantels die Freudentränen aus den Augen. Eine Weile ergötzte sich Anna an der Freude des Lateiners, dann griff sie wieder in den Bücherhaufen und fischte vorsichtig, denn sie musste achtgeben, dass der Stapel nicht einstürzte, einen weiteren Band heraus. Sie übersetzte: »Platons Theologie.« Wie vom Donner gerührt hielt er mitten im Tanzen inne, erblasste und näherte sich dem Mädchen, das den Kodex in der Hand hielt, wie einem Wundergebilde, bei dem bereits ein Wimpernschlag genügte, um es in Staub aufzulösen. »In diesem Buch«, flüsterte er vor Ergriffenheit, »steht die Weisheit, die Gott Adam und Eva offenbart und die diese weiter an Hermes Trismegistos und der sie an Pythagoras …«
    »… und Pythagoras an Platon weitergegeben hat. Ich weiß, ich weiß.« Sie hatte kaum ausgesprochen, als der Bibliothekar den Raum betrat. Sein Gesicht wirkte ernster als sonst. »Kommt, kommt.« Nikolaus und Anna folgten verwundert dem Zwerg. Im Lesesaal erwartete sie ein kaiserlicher Gardist.
    »Nikolaus von Kues?«, fragte der streng. Der Lateiner nickte. Daraufhin übermittelte der Gardist dem Gelehrten auf Griechisch eine Botschaft.
    »Ihr sollt Euch zur Audienz beim Kaiser einfinden«, übersetzte Anna ins Lateinische.
    »Endlich!«, strahlte er. Heute also würde sich der Zweck seiner Reise erfüllen, sowohl was die Audienz als auch was die Bücher betraf. Pures Glück rann durch seine Adern. Nikolaus vergaß, dass sie sich in der Öffentlichkeit befanden, küsste Anna ungestüm die Hände und verabschiedete sich. Missbilligend schauten die Kopisten zu dem in ihren Augen unzüchtigen Geschehen. »Ich muss, liebes Mädchen, bis später, ich muss.« Und entschwand auch schon aus dem Lesesaal, die beiden Bücher fest unter den Arm geklemmt. Anna sah ihm nach, und es war ihr, als ob ihr das Herz aus dem Leibe gerissen wurde, denn sie wusste, dass es kein später geben würde. Sie fühlte den bösen Blick des Bibliothekars auf sich ruhen. Er hatte die Bücher in der Hand des Lateiners erkannt.
    »Ich wusste doch, dass man Frauen nicht in die Bibliothek lassen darf. Allein hätte er die Werke niemals gefunden.«
    »Was ist Schlechtes daran?«
    »Sie wären besser da geblieben, wo sie waren, jetzt werden sie viel Unheil stiften, vielleicht sogar den Glauben zerstören mit ihren wunderlichen Vorstellungen.«
    Der Weg nach Hause war der Weg des Abschieds, des Abschieds von Nikolaus, von den Gesprächen, von der Bibliothek und der Philosophie. Sie nahm ihn kaum wahr. Anna hatte alles gewagt, um ihn noch einmal zu sehen. Doch die Bücher unterm Arm, die Audienz vor Augen, existierte sie auf einmal nicht mehr für ihn, war nur noch irgendein liebes Mädchen. Das erbitterte sie. Hatte sie in ihrem Zimmer mit dem Gedanken gespielt, von zu Hause auszureißen, ihren Vater, ihre Mutter zu verlassen, um mit ihm durch die große Welt zu reisen, hatte er diese Illusion mit einem einzigen Wort, mit einem einzigen »du liebes Mädchen« zerstört. Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, sie zu der Audienz mitzunehmen. Er hätte sie wenigstens darum bitten können. Und sie? Sie hätte versucht, es ihm auszureden. Und wenn er dann auf ihrer Begleitung bestanden hätte, wäre sich Anna sicher gewesen, dass Nikolaus von Kues sie liebte. Auch gut, dachte Anna bitter. Er hatte sie ausgenutzt, und nun, da er alles hatte, die Audienz und die Bücher, interessierte sie ihn nicht mehr. Das Mädchen sehnte sich nur nach einem: sich in die hinterste Ecke seines Zimmer zurückzuziehen, in der Ecke mit angezogenen Beinen zu sitzen und wie ein Schlosshund zu heulen. Das große Elend wollte heraus.
    Ihr Verschwinden war im Palast nicht unbemerkt geblieben. Männer wurden bereits ausgeschickt, sie zu suchen. Die beiden, auf die sie unterwegs stieß, brachten sie sicher nach Hause. Ihr Vater befand sich noch beim Kaiser. Er sollte bei der Audienz zugegen sein. So empfing sie ihre Mutter. Mit einer boshaften Befriedigung stellte Anna fest, dass sich Eirene Sorgen um sie gemacht hatte. Sollte sie. Irgendwie trugen ihre Eltern eine Mitschuld an ihrem Elend. Als Eirene jedoch, die schon mit einem Heer von Vorwürfen über ihre Tochter herfallen wollte, den traurigen Blick Annas sah, legte sie stattdessen den Arm um ihre Schulter und sagte wie eine Freundin: »Erzähl, erzählen hilft.« Und zog sich mit Anna

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