Byzanz
Sie wollten es nicht dulden, dass der Abtrünnige weiter ihr geistlicher Vater war und das Kloster leitete. Sie johlten, schimpften, sie keiften. Das Kloster, in dem er eine der schönsten Bibliotheken Konstantinopels zusammengetragen hatte, war auf einmal ein Ort ohne Vernunft, im Gegenteil, ein Abgrund des Irrsinns.
»Halt den Mund, Bessarion, wer glaubt, braucht keine Argumente«, fuhr ihn sein Stellvertreter an.
»Dein teuflischer Geist ist ohne Demut!«, brüllte ein schielender Mönch, dessen Namen er nicht behalten hatte.
»Ohne Glauben«, sekundierte der eigentlich gutmütige Pförtner. Was hatte die guten Leute nur so aufgebracht?, fragte er sich erschrocken.
»Flieh!«, raunte ihm der Bibliothekar zu. Und Bessarion spürte, dass der Zorn wuchs und dass er zur Zielscheibe wurde für die Unbill, die ein jeder im Leben erfahren hatte, für die Angst der Männer, für die Lust, einmal so richtig über die Stränge schlagen zu dürfen und dafür nicht verantwortlich zu sein. Hier halfen Worte nicht mehr und auch keine Argumente. Er floh in den Palast der Notaras.
Unter Tränen schilderte der herzensgute Mann, was ihm von seinen Brüdern angetan worden war. Am meisten verletzte ihn aber der Hass, dieser tiefe unchristliche Hass. Er mochte weder etwas essen noch trinken. Ihn peinigten die Bilder von glühenden Augen und verzerrten Gesichtern, die er nicht abzuschütteln vermochte. Immer wieder murmelte er vor sich hin: »Sie haben mich geschlagen!« Er fand kein Verständnis für dieses Verhalten. Gegen einen auch sehr kontroversen, einen sehr scharfen Disput, in dem die Argumente gewogen wurden, hätte er nichts einzuwenden gehabt. Aber die Mönche hatten nicht mit ihm diskutieren wollen, eigentlich wünschten sie sich, ihn brennen zu sehen. Das erste Mal in seinem Leben dachte Bessarion, dass diese Stadt dem Untergang geweiht war, weil ihre Bewohner nichts mehr zu wissen wünschten, taub für jedes Argument, fanatisch in ihren Vorurteilen, selbstgerecht in der Durchsetzung ihres Aberglaubens. Mit der Vernunft würden sie auch ihre Existenz verlieren. Der Gedanke erschreckte ihn. Er fragte sich, ob seine Meinung der persönlichen Verletzung geschuldet war oder ob er mit seiner pessimistischen Sicht recht hatte. Das Nachdenken über diese Frage holte ihn aus der Depression und der Fassungslosigkeit. Er suchte sich einen stillen Platz im hinteren Teil des Gartens unter einem Lebensbaum, um das Vorgefallene zu analysieren. Dort fand ihn auch Loukas Notaras, als er zurückkehrte und ihn Eirene kopfschüttelnd in Kenntnis setzte.
»Es tut mir leid, mein Freund«, sagte Loukas mit aufrichtigem Mitleid. Aber Bessarion hatte sich gefangen und wirkte gefestigt. Er erkundigte sich nach den anderen Mitgliedern der Delegation.
»Gennadios und Markos haben sich an die Spitze der Gegner der Kirchenunion gestellt. Isidor ist unter Schlägen in den Kaiserpalast geflohen, andere mussten auch Beschimpfungen, Bespuckungen, Tritte und Schläge ertragen. Das Volk ist aufgewühlt und lässt seine Wut an jedem Unionsfreund aus. Nur Georgios Plethon mit seinem klassisch geschnittenen Gesicht und dem silberweißen Haar, der wie die personifizierte Weisheit wirkte, rührten sie nicht an. Vielleicht auch wegen seines hohen Alters. Die Einheit mit den Lateinern hat unsere Kirche entzweit. Was ihr in Italien beschlossen habt, führt hier, wenn wir nicht aufpassen, zum Bürgerkrieg.«
»Das stimmt und auch wieder nicht. Wir können nur in der Union mit dem Westen den Ansturm des Ostens überleben.«
»So gesehen ja, aber andere Christen leben auch gut unter den Osmanen. Wenn Konstantinopel nicht mehr lebensfähig ist, wäre es da nicht besser, dass wir Griechen, als christliches Volk vereint, unter den Muslimen leben? Wir entrichten unsere Steuer, müssen aber bei unseren Geschäften und unserem Glauben keine Abstriche machen wie jetzt. Lebt es sich für uns dann nicht unter dem Turban besser als unter der Mitra?«
Bessarion erhob sich und ging auf und ab.
»Denk dir, unter den Türken sind alle Christen und Juden gleich. Die Griechen wären endlich den Venezianern und Genuesen im Handel gleichgestellt, wir hätten hier die gleichen Rechte wie sie und könnten uns besser entwickeln«, fuhr der Admiral fort.
Hatte Bessarion richtig gehört, dass Loukas ein Leben unter den muslimischen Türken der Gemeinschaft mit dem christlichen Westen vorzog? Er hätte widersprechen können, argumentieren, aber er sah auf einmal deutlich, dass
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