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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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sein kann. So ist es auch im Staat. Jeder Staat ist auf den König hin geordnet. Im König verkörpert sich der Staat, so, wie der König im Staat anwesend ist. Sieh, wie das auf totem Pergament geschriebene Gesetz im Herrscher ist, so ist im Ersten alles Leben, Zeit ist im Ersten Ewigkeit, Geschöpf ist in ihm Schöpfer. In ihm fallen alle Widersprüche zusammen, wenn der König im Staat ist. Wenn Staat und König zerfallen sind, werden sie vergehen, weil sie dann keine Wirklichkeit mehr besitzen. Wirklichkeit ist aber der Zusammenfall der Gegensätze, denn nur das Eine ist wirklich, weil es ewig und unvergänglich ist. Aus dem Einen entfalten sich die Gegensätze, die wieder zum Einen streben, vor ihm zusammenfallen wollen.
    Das alles werde ich in einer Schrift ausführen, Dir aber als einer Verständigen mögen diese kurzen Worte genügen. Aber indem wir die Kraft der Gegensätze, die Bewegung der Dinge verstehen, kommen wir zu einer vollkommen neuen Sicht der Welt und können uns auch mittels der Vernunft zur Schau Gottes erheben.
    Eines will ich noch kurz schildern, bevor ich einen Kapitän suche, der nach Konstantinopel fährt und den Brief mitnimmt. Am 8. Februar 1438 erreichten wir Venedig und gingen am Lido in der Nähe der Kirche des heiligen Nikolaus vor Anker. Wie sehr mich die Übereinstimmung des Namens gefreut hat, kannst Du Dir sicher denken. Ich nehme es für ein gutes Omen.
    Ein gutes Omen können wir auch gebrauchen, denn in Venedig erwartete uns auch eine traurige Nachricht. Kaiser Sigismund starb vor zwei Monaten auf der Rückreise von Böhmen nach Ungarn. Auch wenn er fast siebzig Jahre alt war, kommt der Tod des großen Mannes zu früh. Am stärksten traf die Nachricht den Fürsten Angelos, der in heftiges Wehklagen ausbrach. Warum, fragte er mich, kreuzt Gott alle unsere guten Vorhaben zu seinem Ruhme? Doch es gelang mir, ihn mit dem Hinweis zu trösten, dass der Papst den Kreuzzug beschlossen hat und sich die christlichen Fürsten dem Ruf nicht verweigern würden. So wollen wir den guten Kaiser Sigismund in unsere Gebete einschließen, den Gott zur Unzeit, wie uns scheint, abberufen hat. Doch der Prunk des Empfanges erfüllte uns sogleich mit großer Zuversicht, dass das Konzil Erfolg haben wird. Schiffe und Boote kamen uns von allen Seiten in so großer Zahl entgegen, dass wir das Meerwasser nicht mehr sehen konnten. Der Senat von Venedig schickte uns die Botschaft, dass der Kaiser die Galeere erst am folgenden Tag verlassen möge, weil der Doge einen großen Empfang ausrichten wolle. Der Bitte wurde entsprochen.
    Am 9. Februar, gegen elf Uhr, näherte sich das venezianische Staatsschiff, der Bucentoro, unserer Galeere. Es war mit bunten Wimpeln geschmückt und mit roten Decken behängt. Vorn prangten goldene Löwen und golddurchwirkte Gewebe, und das Fahrzeug war ringsum mit allerlei bunten und schönen bildlichen Darstellungen bemalt. Umgeben von den Großen der Stadt in Festgewändern betrat der Doge die kaiserliche Galeere und warf sich vor dem Kaiser nieder, dann setzte er sich zu Füßen des Kaisers. Posaunen erschallten. Unwillkürlich kam mir der 23. Psalm in den Sinn: ›Auf den Gewässern hat Gott ihre Grundfesten gelegt.‹ Um zwölf Uhr fuhren wir dann in die Stadt ein und begaben uns zum Haus des Markgrafen von Ferrara.
    Jetzt muss ich den Brief beenden, damit er zu Dir gelangen kann. Jetzt ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Ich danke Dir, kluges Mädchen. Werden wir uns jemals wiedersehen? Ich glaube kaum. Aber Du wirst in meinem Herzen leben, solange jedenfalls dieses Herz schlägt.
    So sei denn Gott befohlen,
    Nikolaus von Kues, Venedig, den 9. Februar im Jahre des Herrn 1438.«
    Nachdenklich und nachsinnend schwiegen sie, ein jeder in seinen Gedanken versunken. Loukas war beeindruckt, Eirene nicht minder.
    »Ich möchte ins Kontor gehen und auch mein Studium der Philosophie fortsetzen und weiter Sprachen treiben. Mein Italienisch könnte besser werden. Und keine Zeit mehr mit Singen und Tanzen vergeuden, bitte, lieber Vater, liebe Mutter. Nur dies!«, bat Anna.
    »Ja, natürlich«, versicherte Loukas seiner Tochter.
    »Ist es nun gut?«, fragte Eirene.
    »Ja, Mutter, jetzt ist es gut«, antwortete sie mit dem angestrengten Lächeln einer Genesenden.

30
    Auf dem Meer Propontis vor Konstantinopel
    Alexios Angelos stand auf dem schwankenden Schiff neben dem Kaiser. Schwarze Wolken verhüllten den Himmel wie ein Vorhang aus Mönchskutten. Der Wind peitschte die Wellen auf.

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