Byzanz
Beste von allen war, doch aus Gründen der Staatsräson musste er den Zweitbesten, den älteren Johannes, einsetzen. Dieser allerdings brauchte Hilfe und vor allem gute Ratgeber. Deshalb bat Manuel Nikephoros, seinem Sohn treu zur Seite zu stehen, wenn er selbst einmal nicht mehr auf dem Thron sitzen würde. Der alte Seeräuber versprach es.
»Weißt du, ich kann das Ende meines Lebens schon sehen«, sagte der Kaiser nachdenklich. Sein Blick glitt dabei zur Fensterfront hinüber, hinter der sich die Stadt Konstantinopel ausbreitete. Und dann war sie wieder da, die Frage, die ihn seit einem Jahr bereits quälte. War das Reich noch zu retten? Zwar erfüllte ihn das Gespräch mit Sultan Mehmed mit vorsichtiger Hoffnung, aber Manuel gelang es nicht, sich von den Sorgen zu befreien.
Für Nikephoros Notaras gestaltete sich der Beginn der Audienz günstig, dennoch würde er behutsam vorgehen müssen. Stimmungen kippten nicht nur, sie dienten häufig auch als Köder oder als Test. Der Kaiser war schließlich nicht seinesgleichen, selbst wenn er sich leutselig gab. Sein Ratschluss war unerforschlich wie der Gottes, dem er näherstand als den Menschen.
»Was führt dich zu mir?«, fragte Manuel schließlich.
»Mein Sohn wurde überfallen und niedergestochen«, sagte Nikephoros leise.
Der Kaiser vermied den direkten Blickkontakt und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. »Wie geht es ihm?«
»Er lebt. Er hat eine starke Natur, er wird durchkommen.«
»Weißt du, wer die schändliche Tat begangen hat?«
»Der Waffenmeister des Fürsten Alexios Angelos.«
»Warum hat er das getan?«
Nikephoros spürte, wie dünn das Eis unter seinen Füßen wurde. »Angeblich im Auftrag seines Herrn.«
»Der Mann lügt.«
»Er muss lügen, denn ein Angeloi würde doch keinen Meuchelmord an einem Kapitän und an meinem Sohn in Auftrag geben«, sagte Nikephoros vorsichtig.
»Da hast du recht, das ist vollkommen undenkbar. Aber warum meint dieser Mann, dass der Fürst ihn beauftragt habe?«
Jetzt kam für Nikephoros der heikelste Moment. Er fiel vor dem Kaiser auf die Knie. »Bitte, hoher Herr, zwingt mich nicht, davon zu sprechen. Es lastet auf meiner Seele wie ein Höllenfels.«
»Erhebe dich, und erzähle mir, mein alter Freund.« Nikephoros stand bedächtig auf, hielt jedoch den Kopf gesenkt, den er leicht schüttelte. Manuel erinnerte ihn an ihre gemeinsame Reise, an die vielen Jahre, die er nun schon in seinem Dienst stand, und bat ihn, wieder Platz zu nehmen. »Hast du so wenig Vertrauen zu deinem Herrn?«, fragte der Kaiser.
»Junge Leute, Herr, sie verlieben sich, wo sie nicht sollen, und anstatt die Vernunft zu haben, einander zu meiden, tun sie das Gegenteil und treffen sich heimlich. Mein Sohn hat sich verliebt in Eure Enkelin …«
»In Eirene?«
Eirene war nicht die einzige Enkelin des Kaisers, aber die einzige, die für solche Eigenwilligkeiten infrage kam. Nikephoros nickte.
»Und Eirene?«, fragte der Kaiser.
»Erwidert dieses törichte Gefühl.« Manuel musste innerlich schmunzeln. Nikephoros stellte es geschickt an, aber nicht geschickt genug, dass er es nicht durchschauen würde. Der Kaiser ahnte nicht, dass der alte Seeräuber ihm genau dieses Gefühl vermitteln wollte. Dadurch ließ Nikephoros ihm die Freiheit, so viel zu hören, wie er hören wollte, und außerdem schmeichelte er damit seiner Intelligenz, der einzigen Schmeichelei übrigens, für die Manuel empfänglich war.
»Sie ist in meinen Palast gekommen, um nach meinem Sohn zu sehen, und hat mich nicht im Unklaren darüber gelassen, was sie für Loukas empfindet.«
»Versprochen ist sie dem jungen Angelos …«, sagte der Kaiser nachdenklich.
»Deshalb wird niemand an die Unschuld des Fürsten glauben.«
»Dann verschweigen wir den ganzen Vorfall.«
»Nichts, was ich lieber täte, aber es gibt leider sehr viele Zeugen. Die Angelegenheit hat sich in der Stadt bereits herumgesprochen. Und wenn ich keinen Schuldigen bestrafe, hat niemand mehr Respekt vor meiner Familie und vor meinem Eigentum.«
Der Kaiser runzelte die Stirn. Die Situation war vertrackt. Er blickte ratlos seinen Dolmetscher an. »Gib mir einen Rat, wie du es früher immer getan hast, wenn wir auf Reisen waren.«
Genau auf diesen Satz hatte Nikephoros gewartet. »Das fällt schwer, aber ich versuche es, wenn Ihr mir die Gunst erweist, den Ratgeber, nicht den Betroffenen in mir zu sehen.«
Manuel drehte die Hände nach außen und hielt sie auffordernd kurz in der Luft, bevor er
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