BZRK Reloaded (German Edition)
tobt?
Warum hast du sie nicht getötet, Plath?
Und hatte Plath eine Antwort darauf? Diese Frage stellte sie sich selbst. Wer war sie – Gandhi? Für wen hielt sie sich? Jesus? Die Heilige Sadie von Plath?
»Vincent ist noch nicht wieder zu sich gekommen«, sagte Nijinsky. »Wer hat die Flasche?«
Neben der Spüle der kargen kleinen Küchenzeile stand eine Flasche Wodka. Sie war vereist, denn normalerweise bewahrten sie sie im Gefrierfach auf. Keats saß der Spüle am nächsten. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, ergriff die Flasche am Hals, schnappte sich ein halbwegs sauberes Glas und stellte alles auf den Couchtisch.
Nijinsky nahm die Flasche und schenkte sich ungefähr drei Fingerbreit ein. Das meiste davon kippte er auf einen Zug hinunter, bevor er das Glas etwas zu kräftig auf den Tisch knallte.
Konterschnaps, wie man so sagte. Ein kleiner Schluck am Morgen, um den Kater zu lindern, den man sich am Abend zuvor zugezogen hatte.
Du bist nicht der Richtige für den Job. Sieh zu, dass du es wirst.
»Mein Bruder hat sich noch immer nicht erholt«, sagte Keats. »Er ist immer noch in der Klapse an ein Bett gefesselt.«
»Kerouac hat drei Bioten verloren«, sagte Wilkes. »Und er war vorher schon halb durchgedreht.«
»Fick dich«, blaffte Keats sie an. »Mein Bruder war abgebrühter als die meisten.«
»Das war er«, pflichtete ihm Nijinsky bei und warf Wilkes einen vorwurfsvollen Blick zu, worauf diese beleidigt die Klappe hielt. »Kerouac war … ist ein feiner Kerl.« Er schenkte sich noch einmal ein, diesmal ein bisschen weniger, hob das Glas und sagte: »Auf Kerouac, der ein verdammter Gott ist und jetzt trotzdem schreiend im Dunkeln sitzt.« Er kippte den Wodka hinunter.
Gewalt erfüllte die Herzen der Anwesenden. Nijinsky war verbittert und wütend und unsicher. Keats angeschlagen, grollend und misstrauisch. Wilkes war ohnehin schon ein Fall für die Klapse gewesen, inzwischen hatte sie getötet und zugesehen, wie andere getötet hatten, wie Ophelias Beine wie fette Steaks verbrutzelt waren, und nun gierte sie einem Kampf entgegen.
Plath erkannte all das. Und sie vernahm den unausgesprochenen Vorwurf: Warum hast du die Zwillinge nicht getötet?
»Jin«, sagte sie. Sonst nichts.
Und Nijinsky sog beim Klang dieses liebevollen Spitznamens schluchzend die Luft ein. Er sah auf das Glas hinab und stellte es vorsichtig in einiger Entfernung ab.
»Ich liebe ihn«, sagte Nijinsky.
Plath konnte sich den unwillkürlichen Blick zu Keats hinüber nicht verkneifen.
»Es ist dumm von mir, etwas für Vincent zu empfinden«, erklärte Nijinsky. »Ihn zu lieben. Und nein, nicht so, wie ihr denkt. Ich meine, wenn ich einen Bruder hätte …« Er sah zu Keats hinüber, der einen Bruder hatte, und Nijinsky traten Tränen in die Augen. »Ich meine, wenn ich einen Bruder hätte, wenn ich wüsste, wie das ist, dann wäre das Vincent. Für ihn würde ich mein nutzloses Leben geben. Aber ich war zu spät.«
Blitzartig erkannte Plath, was sie übersehen hatte. Sie war nicht die Einzige im Zimmer, die sich verfolgt fühlte von den Fragen: »Was wäre geschehen, wenn?« und »Warum habe ich nicht?«
»Vielleicht könnten wir Ophelia aus den Händen des FBI befreien …«, begann Wilkes. »Sie könnte … Ophelia ist die beste Weberin.« Wilkes bettelte um ein Menschenleben, wusste es aber besser, wusste, dass die Entscheidung schon längst getroffen worden war.
»Du sprichst von einer tiefen Verdrahtung«, sagte Nijinsky, ohne jemanden anzuschauen.
»Ja, eine tiefe Verdrahtung. So tief wie möglich. Die Sache langsam angehen und bis ins Innere von Vincents Hirn dringen.« Wilkes setzte sich auf. »Ophelia könnte …«
»Verdammt, Wilkes.« Nijinskys Stimme klang flehend. Plath merkte, dass er am Ende war. Er ertrug den Gedanken an Ophelia nicht. »Ophelia war die Beste.«
Niemandem entging, dass er in der Vergangenheit sprach.
Wilkes’ Gesicht verzerrte sich, als hätte ihr jemand in die Magengrube getreten. Sie sprang von ihrem Platz auf und stakste auf steifen Beinen zur Spüle. Dort drehte sie das Wasser auf und trank direkt aus dem Hahn. Als sie sich wieder aufrichtete, schlug sie mit dem Kopf gegen die Tür des Geschirrschranks.
»Verdammte Kacke!«, kreischte sie. Mit der Faust drosch sie auf die Schranktür ein. Immer heftiger und heftiger. Dann mit beiden Fäusten und so weiter, bis es schien, als würde sie sich die Hände blutig schlagen.
Keats trat rasch hinter sie, umklammerte ihre Arme und
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