BZRK Reloaded (German Edition)
McGrath hatte geschrien.
Sie war nicht ohnmächtig geworden, aber als sie geschrien hatte, hatte etwas sie am Hinterkopf getroffen, und dann waren ihre Knie eingeknickt.
Niemand hatte sie gewarnt, niemand hatte ihr gesagt, dass das fantasievolle, mythische Bild an der Decke das Porträt einer realen Person war. Zweier Personen.
Es war schlicht zu viel für sie gewesen. Dabei war sie eigentlich gar nicht so empfindlich. Sie hatte schon viele entstellte Leute gesehen, aber nie hatte sie etwas anderes als Mitleid empfunden. Und vielleicht, nein, ganz bestimmt würde sie diesen Unglücklichen am Ende dasselbe Gefühl entgegenbringen. Nur dass sie keine hilflosen Bettler waren. Dies waren die Großen Seelen, die Zirkusdirektoren dieses schwimmenden Irrenhauses, die Schweinehunde, die sie entführt hatten.
Sie lag in ihrer Kabine. Am Hinterkopf hatte sie eine Beule. Jemand hatte sie hierher gebracht, jemand hatte ihr eine antibiotische Salbe auf die Beule geschmiert und ihre Haare damit verklebt.
Sie setzte sich auf. Die Kopfschmerzen explodierten in ihrem Schädel.
Sie hörte Gesang, laut und nicht sehr gekonnt.
Zwei große Führer.
Ein Geist.
Kein Krieg mehr.
Kein Hass mehr.
Es ist nie zu spät.
Minako kannte die Melodie nicht. Sie stand auf und unterdrückte den Brechreiz, der ihr fast das Bewusstsein raubte.
Sie ging zur Tür, die abgeschlossen war. Minako konnte in die Kugel hinaussehen, doch die Tür war abgesperrt. An den Geländern standen überall Leute, die sangen und Fahnen schwenkten. Zwischen den Leuten hindurch konnte sie auf den Boden der Kugel sehen, wo sich ekstatisch feiernde und glückliche Bewohner drängten. Es war wie eine seltsame Mischung aus Rockkonzert, rotem Teppich für einen Star und einer Wahlparty.
Die Ungeheuer waren noch immer in ihrem Aufzugskäfig, der einen Meter über dem Boden angehalten hatte. Die Leute streckten die Hände aus, um sie zu berühren, versuchten, ihre Finger durch das Gitter zu schieben. Wie minderjährige Fans bei einem Popstar.
Das Lied ging weiter und weiter, und Minako hatte den Eindruck, dass es auch schon eine ganze Weile gedauert hatte. Die Kugel pulsierte in seinem Rhythmus.
Schließlich drang aus den Lautsprechern ein erhebendes Finale, und der Gesang zerfaserte in Rufe und Kreischen: »Charles! Benjamin!« und »Benjaminia heißt euch willkommen!«
Wir lieben euch!
Nachhaltiges Glück!
Charles winkte kräftig und sog alles in sich auf. Benjamin war weniger begeistert. Er hatte eine Verletzung im Gesicht, und sein Ausdruck war eher ein finsteres Starren als ein Lächeln.
Die Fanatiker, die ihn anhimmelten, störte das nicht.
Benjamin! Unser wundervoller Benjamin!
Unser Prinz!
Unser Lenker!
Minako überkam eine andere Art der Übelkeit – nicht Brechreiz, sondern Entsetzen. Es bildete sich ein Sprechchor, der alle Stimmen vereinte, ein erbarmungsloser Rhythmus.
Ben-ja-min!
Ben-ja-min!
Charles deutete auf seinen Bruder, wie ein Zirkusdirektor, der dem Applaus applaudierte. Er lenkte die Aufmerksamkeit absichtlich auf seinen Zwillingsbruder. Und es schien zu funktionieren, ein bisschen wenigstens. Der finster dreinblickende Benjamin winkte kurz, bevor er den Arm wieder hängen ließ.
Doch dann bohrte sich sein Blick geradewegs in Minako. Er konnte sie sehen. Sie wich vor diesem furchtbaren Blick zurück.
Da erst lächelte Benjamin.
Minako zog sich zurück, damit er sie nicht mehr sehen konnte, und setzte sich auf ihr Bett. Das war ein einziger Albtraum. Ein Albtraum. Es konnte nicht wahr sein.
Sie zitterte. Die schiere Boshaftigkeit in diesem Blick.
Sie würden ihr wehtun.
Der Sprechchor hatte sich verändert.
Wir sind jedermann!
Wir sind jedermann!
Wir werden überall sein!
Wir werden überall sein!
Drei Männer erschienen vor Minakos Tür. Es waren Besatzungsmitglieder, keine Bewohner von Benjaminia. Einer war der junge Asiate vom Strand, KimKim, der sie hatte vergewaltigen wollen. Doch jetzt grinste er nicht anzüglich. Steif und gerade stand er da. Der zweite Mann war älter, und Minako hatte ihn noch nie gesehen. Vom dritten wusste sie, dass er ein Offizier war, denn er trug Epauletten am Hemd.
»Du kommst mit uns«, sagte der Offizier schroff. Er hatte einen Akzent, den sie nicht zuordnen konnte.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich will nirgends hingehen.«
Minako wich in ihr Zimmer zurück, als würde das die Männer aufhalten.
Der Offizier sagte: »Wenn du dich wehrst, wird es nur noch schlimmer.«
Bis zu diesem
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