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Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Admin
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Heulen in ihrem Kopf jemanden den Namen des Mannes rufen, den sie hier zu finden gehofft hatte.
    Boone!
    Sie hörte keine Antwort – vielleicht erfolgte keine –, aber der Ruf ertönte wieder, wie um ihn in die Erde zurückzubeordern.
    Bevor sie die letzte Kraft aufbringen konnte, um den Sturz zu verhindern, gab ihr unverletzter Arm unter ihr nach, und sie fiel mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Knopfauge schritt auf sein Opfer zu und war enttäuscht, daß die Frau nicht bei Bewußtsein sein würde, um seinen letzten Segen zu hören. Er sprach im endgültigen Augenblick gerne ein paar Worte der Einsicht; Worte, die er sich nie zurechtlegte, die aber wie Poesie aus dem Reißverschlußmund kamen. Manchmal lachten sie über seine Predigt, und das rief Grausamkeit in ihm hervor. Aber wenn sie weinten, was sie häufig taten, dann nahm er das gnädig auf und gewährleistete, daß der letzte Augenblick, der allerletzte, schnell und schmerzlos war.
    Er kickte die Frau auf den Rücken, um zu sehen, ob er sie aus ihrem Schlaf wecken konnte. Ja, blinzelnd öffneten sich ihre Augen ein wenig.
    »Gut«, sagte er und richtete die Pistole auf ihr Gesicht.
    Als er spürte, wie Weisheit über seine Lippen kommen 124

    wollte, hörte er das Knurren. Es lenkte seinen Blick einen Moment von der Frau ab. Von irgendwo war ein lautloser Wind aufgekommen, der die Bäume schüttelte. Im Boden unter seinen Füßen erfolgte ein Aufschrei.
    Die Maske war unbeeindruckt. Auf Friedhöfen spazie -
    renzugehen, stellte ihr nicht ein einziges Nackenhaar auf.
    Sie war der Neue Tod, heute das Gesicht von morgen: Was konnten sie ihr schon antun?
    Er lachte über die Melodramatik. Warf den Kopf zurück und lachte.
    Die Frau zu seinen Füßen fing an zu stöhnen. Zeit, sie zum Schweigen zu bringen. Er zielte auf ihren offenen Mund.
    Als ihm klar wurde, welches Wort sie mit den Lippen formte, teilte sich das Dunkel vor ihm, und das Wort trat aus seinem Versteck.
    »Boone«, sagte sie.
    Er war es.
    Er trat aus dem Schatten der wogenden Bäume und war genauso gekleidet, wie die Maske ihn in Erinnerung hatte, in ein schmutziges T-Shirt und Jeans. Aber seine Augen verströmten einen Glanz, an den sich die Maske nicht erinnerte; und er ging – trotz der Kugeln, die er abbekommen hatte – wie ein Mann, der in seinem ganzen Leben keinen Schmerz gekannt hat.
    Geheimnis genug. Aber es kam noch mehr. Noch während er hervortrat, fing er an, sich zu verändern, er atmete eine Rauchwolke aus, die sein Fleisch nahm und durch ein Fantasiegebilde ersetzte.
    Dies war der Sündenbock; und doch wieder nicht. So sehr nicht. Die Maske sah zu der Frau hinab, ob auch sie dieselbe Vision hätte, aber sie war bewußtlos geworden.
    Er mußte dem glauben, was ihm die Kreuzstich-Augen zeigten, und die zeigten ihm das Grauen.

    125

    Licht und Dunkelheit wogten über die Muskeln von Boones Armen und Hals; seine Finger wurden größer; verwirrende Bruchstücke schienen sich hinter der Rauchwolke, die er ausgeatmet hatte, in seinem Gesicht zu bewegen und eine verborgene Form in seinem Kopf zu beschreiben, der sich Muskeln und Knochen anpaßten.
    Und aus dem Wirrwarr drang eine Stimme. Es war nicht die Stimme, an die sich die Maske erinnerte. Nicht die von Schuld gedämpfte Stimme eines Sündenbocks. Es war ein Wutschrei.
    »Sie sind ein toter Mann, Decker!« schrie das Monster.
    Die Maske haßte diesen Namen, dieses Decker. Der Mann war nichts weiter als eine alte Flamme, mit der er ab und zu gefickt hatte. In einer Hitze wie dieser, wenn der Mord-Steife so stark war, konnte sich Knopfauge kaum erinnern, ob Dr. Decker lebte oder tot war.
    Dennoch nannte ihn das Monster bei diesem Namen.
    »Haben Sie gehört, Decker?« sagte es.
    Balg, dachte die Maske, mißgebildeter, halb abgetriebe-ner Balg. Er richtete die Pistole auf Boones Herz. Er hatte aufgehört, Verwandlungen zu atmen und stand vollkommen vor seinem Widersacher, wenn man ein Ding, das auf der Platte eines Schlächters geboren worden war, je vollkommen nennen konnte. Es war eine lächerliche Gestalt, die Mutter eine Wölfin, der Vater ein Clown. Kein Segen für das da, beschloß die Maske. Nur Speichel auf seinem hybriden Gesicht, wenn es tot am Boden lag.
    Er feuerte ohne einen weiteren Gedanken. Die Kugel riß ein Loch in die Mitte von Boones T-Shirt und in das verwandelte Fleisch darunter, aber die Kreatur grinste nur.
    »Das haben Sie schon einmal versucht, Decker«, sagte Boone. »Lernen Sie denn niemals

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