Cabal - Clive Barker.doc
schlimmer als alles, was er bisher durchgemacht hatte: Sie nach ihm rufen zu hören und zu wissen, Midians Gesetz verbot ihm zu antworten.
»Hört sie doch an, um Gottes willen!« sagte er. »Hört sie doch an.«
»Du hast ein Versprechen gegeben, als wir dich aufgenommen haben«, erinnerte Lylesburg ihn.
»Ich weiß. Ich verstehe.«
»Das scheint mir nicht so. Die Versprechen wurden nicht leichtfertig verlangt, Boone. Brich sie, und du hast kein Zuhause mehr. Gehörst nicht zu uns. Und nicht zu ihnen.«
»Ihr verlangt von mir, ich soll ruhig mit anhören, wie sie stirbt.«
»Dann halt dir die Ohren zu. Es wird bald vorbei sein.«
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Sie hatte keine Luft mehr, seinen Namen zu rufen. Einerlei. Er war nicht hier. Und wenn, dann war er tot in der Erde, und verdorben. Unfähig, Hilfe zu geben oder zu nehmen.
Sie war allein, und der Mann mit der Pistole war hinter ihr her.
Decker holte die Maske aus der Tasche, die Knopfmaske, hinter der er sich so sicher fühlte. Oh, wie oft war sein Stolz während der ermüdenden Tage mit Boone, als er ihm Zeitpunkte und Orte der Morde beigebracht hatte, die er erben sollte, beinahe übergeschäumt und hatte danach verlangt, die Verbrechen für sich zurückzufor-dern. Aber er brauchte den Sündenbock dringender als den schnellen Kitzel eines Geständnisses, um den Argwohn im Zaum zu halten. Boones Eingeständnis der Verbrechen wäre natürlich nicht das Ende gewesen. Mit der Zeit hätte die Maske wieder angefangen, mit ihrem Besitzer zu sprechen, hätte verlangt, in Blut gebadet zu werden, und die Morde hätten wieder angefangen. Aber erst wenn sich Decker einen anderen Namen und ein anderes Revier zugelegt haben würde, wo er seine Praxis hätte errichten können. Diese sorgfältigen Pläne hatte Boone vereitelt, aber er würde keine Möglichkeit bekommen, zu erzählen, was er wußte. Dafür würde Knopfgesicht sorgen.
Decker streifte die Maske über. Sie roch nach seiner Erregung. Kaum hatte er eingeatmet, bekam er einen Steifen. Nicht den kleinen Sex-Steifen, sondern den Tod-Steifen; den Mord-Steifen. Er schnupperte selbst durch den dicken Stoff von Unterwäsche und Hosen die Luft für 122
ihn ab. Der Maske war es einerlei, daß seine Beute weiblich war; er bekam den Mord-Steifen bei allen. Er hatte zu seiner Zeit schon Hitze für alte Männer empfunden, die sich in die Hosen pißten, während sie vor ihm niedersanken, manchmal für Mädchen, manchmal für Frauen; selbst Kinder.
Knopfgesicht betrachtete die ganze Menschheit mit denselben Kreuzstich-Augen.
Diese hier, die Frau vor ihm in der Dunkelheit, bedeutete der Maske nicht mehr als alle anderen. Wenn sie anfingen, in Panik zu geraten und zu bluten, waren sie alle gleich. Er folgte ihr mit gelassenen Schritten; das gehörte zu Knopfgesichts Markenzeichen, der Gang des Henkers. Und sie floh vor ihm, ihr Flehen wurde von Rotz und Keuchen erstickt. Sie hatte keine Luft mehr, um nach ihrem Helden zu rufen, aber sie betete zweifellos noch, daß er zu ihr kommen würde. Armes Flittchen. Wußte sie denn nicht, daß sie sich niemals sehen ließen? Er hatte schon gehört, wie sie alle gerufen worden waren, wie sie angefleht worden waren, wie Handel mit ihnen geschlossen wurden; mit den Heiligen Vätern und Müttern, den Helden, den Fürsprechern; keiner hatte sich je sehen lassen.
Aber ihr Leid würde bald vorbei sein. Ein Schuß ins Genick, um sie zu Fall zu bringen, und dann würde er mit dem Messer, dem schweren Messer, ihr Gesicht bearbei-ten, wie er es mit allen machte. Hin, her; hin, her, wie die Fäden seiner Augen, bis nur noch rohes Fleisch übrig war.
Aha! Sie stürzte. Zu müde, um noch weiter zu laufen.
Er machte den Stahlmund von Knopfauge auf und sprach zu dem gestürzten Mädchen...
»Sei still«, sagte er. »So geht es schneller.«
Sie versuchte ein letztes Mal aufzustehen, aber ihre Beine versagten den Dienst vollkommen, und die weiße Flut war praktisch völlig verzehrend geworden. Sie drehte den 123
Kopf benommen in die Richtung, aus der Deckers Stimme gekommen war, und sah in einem Wellental zwischen zwei weißen Wogen, daß er die Maske wieder aufgezogen hatte. Sein Gesicht war der Kopf des Todes.
Er hob die Pistole...
Sie spürte ein Beben im Boden unter ihr. War es möglicherweise das Geräusch eines Schusses? Sie konnte die Pistole nicht mehr sehen, nicht einmal Decker. Eine letzte Woge hatte ihn fortgespült. Aber ihr Körper spürte, wie die Erde bebte, und sie hörte durch das
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