Cabal - Clive Barker.doc
Was soll das bedeuten?« sagte Lori heftig. Sie hatte die ausweichenden Antworten und Andeutungen satt. »Wer seid ihr schon? Kranke Menschen, die im Dunkeln leben. Boone ist nicht krank. Er ist ein normaler Mann. Ein normaler, gesunder Mann.«
»Ich schlage vor, Sie fragen ihn, wie gesund er sich fühlt«, war Rachels Erwiderung.
»Oh, das werde ich, wenn die Zeit gekommen ist.«
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Babette blieb von diesem Austausch von Boshaftigke iten nicht unberührt.
»Sie dürfen nicht gehen«, sagte sie zu Lori.
»Ich muß.«
»Nicht ins Licht.« Sie hielt sich heftig an Loris Ärmel fest. »Dorthin kann ich Ihnen nicht folgen.«
»Sie muß gehen«, sagte Rachel, die versuchte, das Kind wegzunehmen. »Sie gehört nicht zu uns.«
Babette hielt sich fest.
»Sie können es«, sagte sie und sah zu Lori auf. »Es ist ganz leicht.«
»Sie will nicht«, sagte Rachel.
Babette sah zu Lori auf.
»Stimmt das?« fragte sie.
»Sagen Sie es ihr«, sagte Rachel, der Loris Unbehagen offenbar tiefe Befriedigung verschaffte. »Sagen Sie ihr, daß sie zu den kranken Menschen gehört.«
»Aber wir leben ewig«, sagte Babette. Sie sah ihre Mutter an. »Oder nicht?«
»Manche von uns.«
»Alle. Wenn wir immer und ewig leben wollen. Und eines Tages, wenn die Sonne erlischt...«
»Genug!« sagte Rachel.
Aber Babette hatte noch mehr zu sagen.
»...wenn die Sonne erlischt und nur noch Nacht ist, werden wir auf der Erde leben. Dann gehört sie uns.«
Jetzt war es an Rachel, sich unbehaglich zu fühlen.
»Sie weiß nicht, was sie sagt«, murmelte die Frau.
»Ich denke, sie weiß es ganz genau«, antwortete Lori.
Babettes Nähe und der Gedanke, daß sie irgendwie mit dem Kind verbunden war, machte sie plötzlich frösteln.
Das bißchen Frieden, das ihr rationaler Verstand mit Midian geschlossen hatte, fiel rasch in sich zusammen. Mehr als alles andere wollte sie von hier fort sein, fort von 139
Kindern, die vom Ende der Welt sprachen, von Kerzen und Särgen und Leben in Gräbern.
»Wo ist Boone?« sagte sie zu Rachel.
»Zum Tabernakel gegangen. Zu Baphomet.«
»Wer oder was ist Baphomet?«
Rachel machte eine rituelle Geste, als Baphomet er-wähnt wurde, sie berührte Zunge und Herz mit dem Zeigefinger. Für sie war das so vertraut und oft durchge-führt, daß Lori bezweifelte, ob sie überhaupt mitbekommen hätte, daß sie es getan hatte.
»Baphomet ist der Täufer«, sagte Rachel. »Der Midian geschaffen hat. Der uns hierher gerufen hat.«
Wieder berührte der Finger Zunge und Herz.
»Würdest du mich zum Tabernakel bringen?« fragte Lori.
Rachels Antwort war schlicht und einfach: »Nein.«
»Dann zeig mir wenigstens die Richtung.«
»Ich bringe Sie hin«, erbot sich Babette.
»Nein, das wirst du nicht tun«, sagte Rachel, und diesmal riß sie die Hand des Kindes so schnell von Loris Ärmel, daß Babette keine Möglichkeit hatte, sich zu wi-dersetzen.
»Ich habe meine Schuld beglichen«, sagte Rachel, »indem ich Ihre Wunde geheilt habe. Wir haben nichts mehr miteinander zu schaffen.«
Sie ergriff Babette und nahm das Kind auf die Arme.
Babette wand sich im Griff ihrer Mutter, damit sie Lori wieder ansehen konnte.
»Ich möchte, daß Sie wunderschöne Sachen für mich sehen.«
»Sei still«, schalt Rachel.
»Was Sie sehen, werde ich sehen.«
Lori nickte.
»Ja?« sagte Babette.
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»Ja.«
Bevor das Kind noch ein weiteres trauriges Wort äußern konnte, hatte Rachel es aus dem Raum getragen und ließ Lori in Gesellschaft der Särge zurück.
Sie warf den Kopf zurück und atmete langsam aus.
Ruhig, dachte sie, sei ruhig. Es ist bald vorbei.
Die gemalten Sterne über ihr machten Kapriolen und schienen sich zu drehen, während sie sie betrachtete. War ihr Aufruhr eine Laune des Künstlers, fragte sie sich, oder sah so der Himmel für die Brut aus, wenn sie aus ihren Mausoleen kamen, um frische Luft zu schnappen?
Besser, es nicht zu wissen. Es war schlimm genug, daß diese Kreaturen Kinder und Kunst hatten; daß sie darüber hinaus auch eine Vision haben könnten, war ein zu gefährlicher Gedanke, den man nicht weiter verfolgen sollte.
Als sie ihnen auf halbem Weg die Treppe in diese unterirdische Welt hinab zum ersten Mal begegnet war, hatte sie um ihr Leben gefürchtet. In einer stillen Ecke ihrer selbst tat sie das immer noch. Nicht, daß ihr das Leben genommen werden, sondern daß es verändert werden würde; daß die Nachtbrut sie irgendwie mit ihren Ritualen und Visionen beeinflussen könnte und
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