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Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Admin
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schneller und achtete nicht mehr auf den Lärm, den sie erzeugte. Welche Macht auch immer den Boden der Grube bewohnen mochte, sie wußte, daß Lori da war. Wahrscheinlich kannte sie sogar ihre Geschichte. Lori hoffte in gewisser Weise, daß das so sein würde. Sie hatte keine Angst vor ihrem Urteil. Sie hatte Liebe als Grund für ihr Eindringen; sie kam unbewaffnet und allein. Wenn Baphomet wirklich der Architekt von Midian war, dann würde er Verwundbarkeit verstehen und nichts gegen sie unternehmen. Inzwischen hatte sie sich Boone bis auf fünf Meter genähert. Er versuchte, sich auf den Rücken zu drehen.
    »Warte!« sagte sie, weil seine Verzweiflung sie bekümmerte. Aber er sah nicht in ihre Richtung. Als er auf dem Rücken lag, wanderte sein Blick sofort zu Baphomet. Ihr Blick folgte seinem in ein Zimmer mit Wänden aus gefro-rener Erde und einem ebensolchen Boden, letzterer war von einer Ecke zur anderen aufgeplatzt, und aus dem Riß stieg eine Feuersäule empor, die vier- bis fünfmal so groß wie ein Mensch war. Aber es ging bittere Kälte von ihr aus, keine Hitze, und in ihrem Herzen war kein anhei-melndes Flackern. Statt dessen wirbelte sein Innerstes in sich selbst und trug und drehte eine Last, die sie zuerst nicht erkannte, die ihr ekelerfüllter Blick aber rasch inter-pretierte.
    In dem Feuer war ein Körper, in einzelne Gliedmaßen zerstückelt, so menschlich, daß sie ihn als Fleisch erkann-147

    te, aber eben nicht mehr als das. Wahrscheinlich Baphomets Tun; eine einem Eindringling auferlegte Strafe.
    Eben jetzt sprach Boone den Namen des Täufers aus, und sie wappnete sich für den Anblick seines Gesichts. Sie bekam es auch zu sehen, aber von innerhalb der Flamme, als das Wesen dort – nicht tot, sondern lebend; nicht Midians Opfer, sondern sein Schöpfer – im Wirrwarr der Flamme den Kopf drehte und sie ansah.
    Das war Baphomet. Dieses zerstückelte und zerschnitte-ne Ding. Als sie sein Gesicht sah, schrie sie. Kein Roman, keine Kinoleinwand, keine Einsamkeit und keine Wonne hatte sie auf den Schöpfer von Midian vorbereiten können. Er mußte heilig sein, wie jedes so extreme Ding heilig sein mußte. Ein Ding jenseits von Dingen. Jenseits von Liebe oder Haß oder ihrer Summe; jenseits des Monströ-
    sen oder des Schönen, jenseits deren Summe. Und schließ-
    lich jenseits der Fähigkeit ihres Verstandes, es zu begreifen oder zu erfassen. In dem Augenblick, als sie wegsah, hatte sie bereits jeden Bruchteil des Anblicks aus ihrem bewußten Denken verdrängt und dort gespeichert, wo keine Folter und keine Befragung sie jemals wieder zwingen konnten, es anzusehen.
    Sie hatte ihre eigene Kraft nicht gekannt, bis ihre Rase-rei, aus der Gegenwart des Dings zu verschwinden, sie Boone auf die Beine zerren und den Hang emporschlep-pen ließ. Er konnte kaum etwas tun, um ihr zu helfen. Die Zeit, die er in Gegenwart des Täufers verbracht hatte, hatte lediglich Restfetzen Kraft in seinen Muskeln gelassen. Lori hatte den Eindruck, als würde es ein Menschen-alter dauern, den Hang hinaufzustolpern, während das eisige Licht der Flamme ihre Schatten wie Prophezeiungen vor sie warf.
    Der Gang darüber war verlassen. Sie hatte halb damit gerechnet, daß Lylesburg irgendwo mit solideren Kohor-148

    ten auf sie warten würde, aber das Schweigen der Kammer unten hatte sich durch den ganzen Tunnel ausgebreitet. Als sie Boone ein paar Meter vom Kamm des Hangs fortgeschleppt hatte, hielt sie inne, weil ihre Lungen von der Anstrengung brannten, ihn aufrecht zu halten. Er erwachte langsam aus der Benommenheit von Kummer und Entsetzen, in der sie ihn gefunden hatte.
    »Kennst du einen Weg hier heraus?« fragte sie ihn.
    »Ich glaube schon«, sagte er.
    »Du wirst mir etwas helfen müssen. Ich kann dich nicht mehr lange tragen.«
    Er nickte, dann sah er zum Eingang zu Baphomets Grube zurück.
    »Was hast du gesehen?« fragte er.
    »Nichts.«
    »Gut.«
    Er bedeckte das Gesicht mit den Händen. Sie sah, daß einer seiner Finger fehlte, die Verletzung war noch frisch.
    Er schien es jedoch gar nicht zu bemerken, daher stellte sie keine Fragen, sondern konzentrierte sich darauf, ihn zum Weitergehen zu ermutigen. In der Nachfolge seiner Hochgefühle war er widerwillig, beinahe mürrisch, aber sie drängte ihn weiter, bis sie eine steile Treppe erreichte, die sie durch eines der Mausoleen in die Nacht hinausführte.
    Nach der Enge in der Erde roch die Luft nach Ferne, aber statt zu verweilen und es zu genießen bestand sie

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