Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
(Anm. d. Übers.)
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Nachdem ich mich ein paar Stunden durch Aktenberge gequält hatte, beschloss ich, dass ich Cathie (oder vielleicht auch mir selbst?) einen kurzen Anruf schuldete. Ich schaufelte ein paar Ordner vom Schreibtisch, spürte mein Handy auf (das sicher an meinem Gürtel festgeschnallt war – ein Glück, dass sie die Dinger inzwischen so mini machten!) und tippte Cathies Nummer ein.
Es klingelte und klingelte und klingelte endlos, bis der Hörer abgenommen wurde. Eine sehr heisere Stimme stöhnte: »Wer zum Teufel is’n da? Hmm. Das sollte jetzt aber besser ein Notfall sein. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«
»Ich bin’s. Cadence.« Wie immer wollte ich hilfreich sein und setzte hinzu: »Cadence Jones.«
»Cadence, wir sind seit mehr als zehn Jahren befreundet. Ich kenne deinen verfluchten Nachnamen. Warum belästigst du mich in aller Herrgottsfrühe?«
»Weil es inzwischen Mittagsfrühe ist. Wie ist dein Gespräch mit diesem Kunstmenschen gelaufen?«
Cathie gab wieder so einen mitleiderregenden Laut von sich, irgendwo zwischen Stöhnen und Wimmern. »Woher, glaubst du, hab ich wohl diesen gottverfluchten Kater?«
Ich warf einen Blick auf meine Mails … ach herrje, wollten die Kollegen schon wieder Weihnachtswichteln? Warum nur, warum? Hatten sie denn aus dem Debakel im letzten Jahr nichts gelernt? Weihnachtswichteln – das eignete sich hervorragend dazu, die Paranoiden noch tiefer in den Verfolgungswahn zu treiben, die Kleptomanen noch mehr Diebstähle begehen zu lassen und den sozial Unangepassten die Eingliederung noch schwerer zu machen.
Eine bedauernswerte Kollegin hatte in dem Wahn gelebt, ich schösse ihr aus meinen BH-Trägern Strahlen ins Gehirn, nur um sie für die Annahme des Geschenks zu bestrafen, das ich doch eigens für sie gekauft hatte. Ich lief also eine ganze Woche ohne BH herum (im Januar!), aber sie wollte einfach nicht glauben, dass ich ihr mit meinen C-Körbchen keine Gedanken stahl. Inzwischen ist es wieder besser mit ihr geworden. Im Labor fühlt sie sich etwas wohler als im Außendienst.
»Es war toll! Er war toll.« Oh-oh. Cathie war gerade dabei, die unanständigen Details ihrer Verabredung vor mir auszubreiten. Ich sollte jetzt lieber zuhören.
Cathies Dates waren ganz offensichtlich lebhafter als meine. Hey, auch ich kann mich verabreden! Ich habe mich schon mal verabredet. So wie meine Schwestern. Adrienne übertreibt es natürlich. Aber selbst Shiro hat vor einiger Zeit eine Freundin gehabt. Lucy (oder hieß sie Lucia?) hatte jedoch Schluss gemacht, nachdem Adrienne zum zweiten Mal aufgetaucht war.
Das könnte jetzt so klingen, als ob Shiro lesbisch wäre, aber ich glaube, dass sie sich mehr von dem inneren Menschen angezogen fühlt. Und bis jetzt waren diese inneren Menschen – Lucy, Betty, Ellen und Madison – zufälligerweise alle Frauen. Laut Cathie, die Shiro gefragt hat (weil ich es ja schlecht tun kann), hat meine Schwester jede ihrer Freundinnen über alles geliebt, und jede Trennung hat ihr das Herz gebrochen. Und immer hatten diese Trennungen mit ihren Schwestern zu tun, von denen die eine nicht lesbisch war, während die andere alles war.
Cathie zwitscherte immer noch munter in mein Ohr. »Dieser Mann kann seine Rembrandts von seinen van Goghs unterscheiden, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Ehrlich gesagt, nein.« Tina schwebte vorbei und stellte einen Becher Frappuccino auf meinen Schreibtisch. Ich zwinkerte ihr zu. Dann suchte ich wie wild nach meiner Tasche, wühlte darin herum und wedelte mit einem weiteren Pasta-Rezept, das Tina für ihre Party am Wochenende gut gebrauchen konnte. Sie nickte, nahm es und ging ihrer Wege.
Ich beschloss, mich wieder dem Gespräch zu widmen. Nicht, dass ich bei Cathie jemals viel zu Wort gekommen wäre. »Jedenfalls freut es mich, dass du einen schönen Abend hattest.«
»Das ist noch harmlos ausgedrückt, du verrücktes Huhn.« Nur Cathie konnte meine Neurose verunglimpfen, ohne eines quälenden Todes zu sterben. »Tut mir leid, dass ich unser traditionelles Frühstück verpasst habe. Ich hab noch gar nicht mit Patrick gesprochen. Wie ist es denn gelaufen?«
»Du hast ihn heute noch gar nicht gesehen?« Und nun fiel mir ein, dass sie vielleicht überhaupt nichts von unserem Date wusste. Leichte Panik überfiel mich. Was, wenn Patrick überhaupt nicht nach Hause gekommen war?
»Nein. Warte mal.« Ich hörte, wie sie mit dem Telefon in der Hand den Korridor entlangging. »Patrick? Er ist
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