Cadence Jones ermittelt: Drei sind zwei zu viel (German Edition)
elektrischer Stuhl, also hat der Staat den Jungen drei Monate nach der Tat hingerichtet. Wow, die haben sich damals nicht groß mit Papierkram abgegeben, was?«
»Ja, wenn man sich vorstellt, dass alles – die gesamte Ermittlung, die Verhaftung und der Prozess mit abschließender Hinrichtung binnen neunzig Tagen – über die Bühne ging, ist das schon merkwürdig. Aber ich denke, das ist der Hebel, mit dem wir ansetzen können. Da liegt die Lösung. Denn wenn wir das wenige, was wir wissen , eingeben … mal schauen, was dann zum Vorschein kommt.«
Ich hieb auf die Tasten, während Emma Jan zufrieden Chips mampfte. »Da!«
Und da war er tatsächlich, auf dem Monitor: George Stinney, das Motiv für die June-Boy-Morde. Alles lag bereits im Archiv, das Rätsel konnte gelöst werden, wenn man die Teile nur richtig zusammensetzte.
Oder Blau riechen konnte.
Und wenn ich nicht so vernagelt gewesen wäre, hätten wir das alles viel früher wissen können, und der junge Mickelson wäre vielleicht noch am Leben.
»Oh Jesus«, hauchte Emma Jan, während sie auf den Bildschirm starrte. »Jesus.«
»Sie haben es getan. Vor vielen Jahren wurden diese beiden kleinen weißen Mädchen tot aufgefunden, und eine ganze Stadt verfiel in Raserei. Sie haben George Stinney für den Mord an den Mädchen verhaftet, überführt, verurteilt und hingerichtet. In nicht einmal drei Monaten. Der Staat … « Ich blinzelte, aber die Worte auf dem Monitor veränderten sich nicht. »Der Staat hat ein Kind hingerichtet, das höchstwahrscheinlich niemanden ermordet hat.« Und selbst wenn … selbst wenn … er war erst vierzehn .
Emma Jan und ich starrten einander an. Ihre Miene spiegelte die meine: Ich konnte ihr Entsetzen auf meinem Gesicht spüren. Wir waren erschüttert … und gleichzeitig froh. Auf grimmige Weise froh. Denn in jedem guten Cop steckt ein Mensch, der zu gern Rätsel löst … und die Lösung jedweden Rätsels zu finden, sei sie auch noch so sinnlos oder furchtbar, war für uns wie Speis und Trank.
Wir waren stolz, der Lösung des Rätsels auf die Spur gekommen zu sein. Noch nie hatten wir uns besser gefühlt. Was automatisch zu der Frage führte: Wenn ich zum Beispiel Buchhalterin wäre, könnte ich dann jemals so glücklich sein? Oder brauchte ich etwa die Aufregung einer Mordermittlung? Bräuchte ich eine Leiche, um wahre Freude am Leben empfinden zu können?
»Sie haben ihn kaltblütig hingerichtet … für den elektrischen Stuhl war Stinney viel zu klein und schmächtig. Siehst du? Ein Meter vierundfünfzig, einundvierzig Kilo. Sie hatten Probleme, die Elektroden anzubringen. Und die Maske, die für Erwachsene bestimmt ist, passte ihm natürlich auch nicht. Nichts passte. Aber selbst das hat sie nicht abgehalten … «
Ich wollte die Fotos nicht ansehen.
Ich sah die Fotos an. »Seine Familie hatte solche Angst, dass sie in der Nacht seiner Verhaftung geflohen sind. Seinem Vater war bereits der Job gekündigt worden. Sie mussten heimlich die Stadt verlassen und ihren Sohn seinem Schicksal überlassen. Er starb, umgeben von Mördern, die es ganz in Ordnung fanden, einen Teenager hinzurichten. Achtzig Tage nach dem Doppelmord ist er gestorben.«
Ich las es, ich sah es, ich hatte Mühe, es zu begreifen. Oh, ihr verfluchten Scheißkerle. Ihr blinden Dummköpfe, was habt ihr der Welt mit eurer Dummheit angetan?
»Klar, das ergibt Sinn. Die Morde an den kleinen Mädchen müssen bereits vorhandene Spannungen – rassische, politische, vielleicht auch wirtschaftliche, was auch immer da geschwelt hat – noch gesteigert haben. Und das Feuer der Hysterie hat sich an sich selbst genährt, bis es hoch aufloderte. Und konnte nicht verlöschen, bevor nicht jemand dafür bezahlt hatte. Und deshalb lässt George Stinneys Familie seitdem andere Menschen dafür bezahlen«, schloss Emma Jan. »Seit Generationen! Sie haben … mein Gott!«
»Sie haben einen Halbwüchsigen ... «
»Einen weißen Jungen.«
»Genau, einen Weißen. Sie haben ihn aus seinem Zuhause entführt. Diese Schläge … und wie die Jungen gestorben sind … so soll ja auch George Stinney die Mädchen getötet haben. Es heißt, er habe die Mädchen mit einem Schwellennagel totgeprügelt, ihre Schädel waren an vier oder fünf Stellen eingeschlagen. Also töten die Mörder weiße Teenager auf die gleiche Art. Wir haben ja zuerst auf Foltermord getippt. Die Absicht der Mörder war jedoch, der Welt Georges Geschichte wieder … und wieder … und wieder zu
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