Cäsar Birotteau (German Edition)
gerettet zu sein, kam an Intensität den überstandenen Qualen angesichts des Ruins gleich. So sehr es gegen seinen Willen war: seine Augen wurden tränenfeucht. Damit verriet er dem Bankier, aus welchem tiefen Abgrund er ihn eben gezogen hatte, ohne zu ahnen, daß ihn dieser Mann wieder hinabstoßen konnte.
»Was ist Ihnen denn, verehrter Prinzipal?« fragte du Tillet. »Würden Sie nicht morgen für mich das tun, was ich heute für Sie tue? Was ist da weiter dabei?«
»Du Tillet«, versetzte Birotteau überschwenglich, indem er aufstand und die Hand seines ehemaligen Kommis ergriff, ,.ich schenke Ihnen meine ganze Achtung wieder!«
Du Tillet verstand diese Worte. Er vergaß sein Glück und ward rot.
»Dann hatte ich die also verloren?«
»Verloren ... gerade nicht«, erwiderte der Parfümhändler im Gefühl, etwas Dummes gesagt zu haben. »Man munkelt so mancherlei über Ihr Verhältnis zu Frau Roguin. Mein Gott! Die Frau eines andern ...«
Du kümmerst dich um Dinge, die dich den Teufel angehen! dachte du Tillet bei sich. Warte nur, alter Knabe! Von neuem erwachte in ihm die Lust, diesen Tugendbold zu vernichten und den Biedermann, der ihn ehedem bei einem Kassendiebstahl erwischt hatte, vor ganz Paris an den Pranger zu stellen. Er haßte diesen Mann bis in den Grund seiner Seele. Der Zweikampf zwischen einem Verbrecher und dem Zeugen seiner Untat endet nur mit dem Tode eines der beiden Kämpfer.
»Frau Roguin!« meinte er lachend. ,,Du mein Gott! Auf die Eroberung braucht ein junger Mann nicht besonders stolz zu sein ... Aber ich verstehe Sie, verehrter Gönner! Man wird Ihnen erzählt haben, sie hätte mir Geld geliehen. Gerade das Gegenteil ist der Fall: ich habe ihr Vermögen, das in die Affäre ihres Mannes bedenklich verstrickt war, wieder auf die Beine gebracht. Der Ursprung meines Wohlstandes ist rein. Ich habe Ihnen bereits davon erzählt. Sie wissen, ich war arm. Junge Leute geraten mitunter in gräßliche Klemmen. Manche schicken sich in das Elend. Wenn man aber wie die Republik eine Zwangsanleihe macht – mein Gott! – und zahlt sie später zurück: dann steht man genau so rechtschaffen da wie Frankreich!«
»Ja, ja«, stotterte Birotteau, »mein Lieber... Gott ja!... Hat nicht Voltaire einmal gesagt: Gott machte aus der Reue eine Tugend der Sterblichen!«
Das Zitat ging du Tillet von neuem sozusagen an die Nieren.
»Allerdings«, entgegnete er, »darf man seinen Nächsten nicht aus Niedertracht, aus Gemeinheit an seinem Vermögen schädigen – wie das zum Beispiel der Fall wäre, wenn Sie vor der Fälligkeit Ihres Wechsels pleite machten und mich um meine zehntausend Francs prellten!«
»Ich pleite machen?« echote Birotteau, der drei Gläser Wein getrunken hatte und in eitel Wonne schwamm. »Meine Ansichten über den Bankerott sind allbekannt. Der Konkurs ist der Tod eines Kaufmanns. Und bloß als Mensch möchte ich nicht weiterleben!«
»Auf Ihre Gesundheit!« sagte du Tillet, indem er Cäsar zutrank.
»Prosit! Auf Ihr Wohl! – Sagen Sie mal, du Tillet, warum kaufen Sie eigentlich Ihren Bedarf nicht bei mir?«
»Ich will Ihnen gestehen: aus Angst vor Ihrer Frau! Sie hat mir immer gefallen, und wenn Sie nicht mein Gönner wären ... weiß der Teufel!«
»Na ja. Sie sind nicht der erste, der sie schön findet. Es hat ihr mancher nachgestellt. Doch sie liebt mich! Aber was ich sagen wollte, mein lieber du Tillet, mein Junge: man soll nichts halb tun!«
»Wieso?«
Birotteau setzte ihm nun seine Baustellenspekulation auseinander. Du Tillet machte große Augen und schnitt dem Parfümhändler Komplimente über seinen Scharfblick.
»Zukunftsmusik!« sagte er. »Aber ihr macht mal ein Bombengeschäft!«
»Das Lob gerade von Ihnen zu hören, das freut mich wirklich!« schmunzelte Birotteau. »Sie haben in Finanzkreisen ein großartiges Renommee als klarer Kopf! Mein lieber du Tillet, Sie sollten mir bei der Bank von Frankreich einen Kredit verschaffen, bis mein ,Kephalol‘ Gewinn abwirft!«
»Ich will Sie an das Haus Nucingen empfehlen«, erwiderte der Bankier, indem er sich vornahm, sein Opfer alle Touren des Pleitekonter durchtanzen zu lassen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schrieb folgenden Brief an Nucingen:
»Mein lieber Baron!
Der Überbringer dieses Briefes, Herr Cäsar Birotteau, Stadtverordneter, einer der angesehensten Parfümhändler von Paris, wünscht mit Ihnen in Geschäftsverbindung zu treten. Gewähren Sie ihm jeden erbetenen Kredit! Was Sie ihm tun, tun
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