Caesar erwacht!
Bob stoppte seine Ausführung für einen Moment. Dann schwenke er plötzlich um. Das Wir-Gefühl brach ab und machte einem weiter entfernten Sie-Gefühl Platz.
„Eine Art Hierarchie gibt es auch. Das Gesetz des Stärkeren. Und sie sind alle sehr stolz. Diese Menschen lassen sich nicht gerne helfen. Stolz ist alles, was sie noch besitzen. Mit Prostituierten haben sie nicht viel zu tun. Das sind andere Baustellen, andere Straßen. Die brauchen Unterkünfte für ihre Freier und müssen möglichst sauber sein“, beendete Bob seine sachverständige Einführung in das Labyrinth der Obdachlosigkeit.
Nicole und sogar Jo schwiegen für einige Zeit beklommen. Was für eine bizarre, fremde Welt! Daraus ergaben sich jedoch für Nicole weitere Ansatzpunkte.
„Ich frage mich, wie kommen so viele junge Frauen bis zu diesem Tiefpunkt? Und wieso landen sie nicht bei einem Freier oder einem Zuhälter in den anderen Straßen? Die Toten waren alle ausgesprochen hübsch.“ Nicole quälte ihre kleinen grauen Zellen, aber es kam noch kein Land in Sicht.
„Oft ist es so, dass diese Menschen niemand vermisst. Aber so junge Mädel? Ob sie keine Eltern hatten? Besorgte Suchmeldungen nach Kindern gibt es zu den ersten fünf Opfern nicht“, meinte Nicole als Ergebnis ihres ersten Gedankenganges.
„Familie hatte seltsamerweise nur die Sechste. Roberta Trenton, eine junge Frau, die laut ihren Eltern von zu Hause ausgebüchst war und eigentlich nicht in diese Szene gehörte. Sie konnte sofort identifiziert werden. Wie mag das Zeitungsfoto ihrer Tochter auf die armen Eltern gewirkt haben? Ohne Augen! Ich setze mich ungern mit Eltern in Verbindung …“ Nicole hielt inne und stellte sich eine weinende Mutter vor, die verzweifelt in den Andenken ihrer Tochter wühlt, mit einem entsetzlichen Bild im Gedächtnis, das sie wohl nie vergessen würde.
„Und sie fällt auch deutlich aus dem Rahmen, was den Körper betrifft. Ihrer ist nicht so vollkommen wie die anderen. Man konnte sie sogar ethnisch zuordnen. Bei den anderen hat eine Sonderkommission wochenlang geforscht, und nichts kam dabei raus. Die Kleidung war, wie in der Obdachlosen-Szene üblich, immer stark abgenutzt. Die Fundplätze der Leichen waren nicht die Tatorte. Keines der Mädchen wies noch Blutspuren auf. Ausgeweidete Organe fehlten, wie das Herz, die Leber, die Nieren, Lunge, der Uterus und so weiter. Daher vermutet man als Tatwaffe ein Skalpell oder Ähnliches. Sehr professionelle Schnitte! Die Körper wurden nach der Tat regelrecht entsorgt. Makellose Körper, ohne irgendwelche Impfungen, Pickel, Narben und so weiter. Sehr seltsam! Sexuellen Kontakt gab es mit dem Täter anscheinend nicht. Die Frauen waren bis auf die Sechste alle Jungfrauen. In der heutigen Zeit sehr sonderbar, nicht wahr? An drei Fundorten fand man Urinspuren.“
Bob machte ein schuldbewusstes Gesicht. Auch er hatte sich neben der Toten erleichtert, bevor er sie entdeckte. Darüber wollte er lieber schweigen.
„Die Proben haben ergeben, dass der Urin nie von einer und derselben Person stammte. Kinder, wir drehen uns noch im Kreise.“ Nicole schüttelte ihren Kopf.
Jo sprang für seine Meisterin in die Bresche.
„Nehmen wir mal an, es ist tatsächlich ein Mediziner, was man beim alten Jack ja auch vermutete. Hat er sie getötet und ausgenommen, um zu üben? Dann ist er eventuell ein durchgeknallter Student. Hat er ihre Organe verkauft? Dann ist er für einen Händler tätig. Waren es Ritualmorde? Für welche Rituale braucht man Organe? Gowan sollte hier Auskunft geben können. Das fehlende Blut! Vampire in London? Oder ist es einfach nur ein Psychopath, der aus Lust oder Hass mordet? Blondinen bevorzugt! Aber Sex kommt ja nicht infrage. Oder kocht und isst der die Organe? Pfui!“
Jo unterbrach sich ausnahmsweise mal selbst, weil er würgen und sich schütteln musste. Seine eigene Phantasie hatte ihn schachmatt gesetzt.
„Du hast natürlich recht, Hansen. Ich bin zu sehr auf die Zielgruppe fixiert und wo die Opfer herstammen. Ich sollte mich mal mit dem Motiv auseinandersetzen.“ Nicole stand auf und holte eine Kreidetafel in den Salon. „Lasst uns mal alle hypothetischen Fakten auflisten! Irgendetwas übersehen wir.“
Sie entwarf eine Tabelle und trug alle Daten ein, die sie diskutiert hatten. Zum Schluss war auf der Tafel kein Platz mehr, und sie hätte auf einen anderen Schreibuntergrund ausweichen müssen.
„Okay, belassen wir es erst einmal dabei! Sonst wird es zu
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