Caesar erwacht!
rief per Satellitentelefon seinen militärischen Kontaktmann in Johannesburg an. Tiberius war schwer verletzt.
Nicole versuchte, ihn zu verbinden, aber es war schon zu spät. Das nach Ruhm und Macht greifende Leben dieser sterblichen Hülle würde jede Minute beendet sein.
Ob er für den Fall der Fälle eine neue Hülle von seinem eigenen Ich bereithält? Seinen brillanten Geist auf einer externen Festplatte gespeichert hat? Wie sonst sollte die Wissenschaft einen solch herben Verlust verkraften?, dachte Nicole ironisch.
Sie stellte ihm eine letzte Frage nach dem Krieger-Klon, die der Sterbende nicht mehr beantworten konnte. Tiberius verstarb mit einem letzten, langen Röcheln: „Gaiii…!“
Eine Weile blieben alle stumm sitzen, dann wickelten sie Tiberius in eine Decke. Die gesamte Fahrt zum Flugzeug wurde fast nicht gesprochen. Was sie in den letzten Stunden erfahren hatten, war so ungeheuerlich, dass keiner seine bescheidene Meinung kundtun wollte.
Nur Nicole bemerkte abschließend: „Wir werden nach unserer Rückkehr die Behörden informieren, Tiberius abliefern und dann so schnell wie möglich zurückfliegen. In Europa laufen rasende Klone rum, die wir aufhalten müssen.“
Nicole ahnte nicht annähernd, wie rasend ein Klon werden könnte …
Kapitel 9/IX – Druidische Weisheiten
Während des Rückfluges nach Paris ließ Nicole alles Revue passieren und grübelte über das Geschehene nach. Sie hatte sich vor ihrem Flug nach Südafrika auf das Schlimmste vorbereitet. Die Entwicklung und Ausmaße übertrafen ihre Vorahnungen um Längen. Es waren fünf identisch geklonte Mörder unterwegs, in fünf Städten Europas. Und noch 17 potenzielle Klon-Opfer blieben übrig. Die Zahl sechs an Opfern war in London bereits erreicht. Fünf Klone und ein Mensch? Noch nie war ihr ein geklontes Wesen über den Weg gelaufen. Die Tatsachen erschütterten auch sie in ihren Grundfesten. Nicole war kein allzu fleißiger Besucher von Gottesdiensten. Aber eine gewisse Grundtendenz des Glaubens war auch bei ihr zu vermerken. Hin und wieder suchte sie sogar Kirchen als Stätten der Besinnung oder Zuflucht auf. Kaum ein anderer Aufenthaltsort hatte ihr je so viel Frieden geben können, wie diese Gebäude der inneren Einkehr. Ihre religiöse Gesinnung wurde schon früh auf die Probe gestellt. Bei einem Kind einer sogenannten gemischten Ehe nichts Ungewöhnliches. Aber sie behauptete sich tapfer nach dem Gespräch mit einem evangelischen Pfarrer und bot dem streng katholischen Papa die Stirn. In der Frage nach künstlich erschaffenem Leben wären beide Parteien jedoch zweifelsfrei einer Meinung gewesen.
Trotzdem ist hier irgendwie das Ende von sechs Leben, alleine in London, zu beklagen, zu diesem Schluss kam Nicole. Ich werde mich nach meiner Rückkehr direkt zu Gowan begeben, grübelte sie düster. Er schaffte es immer, ihre Gedankenwelt zu ordnen und sie aufzurichten. Auch er würde sehr wahrscheinlich erst einmal selbst eine gewisse Neuordnung der Dinge in Betracht ziehen müssen. Aber durch seine wesentlich erweiterte Sichtweise würde er ihr vermutlich zu einem nachvollziehbaren Ergebnis verhelfen können, beziehungsweise einer Basis, von der aus sie arbeiten konnte.
Auch ihre Begleiter waren ungewöhnlich still und hatten ihre eigenen Gefühle und Gedanken zu verarbeiten. Wenn sie nicht mit irgendwelchen Stress abbauenden Dingen wie Essen und Trinken oder Lesen beschäftigt waren, schliefen sie alle. Sogar Jo war gänzlich verstummt und saß einigermaßen bedrückt herum. Und das wollte bei ihm etwas heißen.
In Paris eingetroffen, machten sie einen kurzen Zwischenstopp in Jeans-Lucs Wohnung, wo sie schon ungeduldig von Nicoles Söhnen erwartet wurden. Seit diesem Tage strömten erschöpfte Geister aus allen Lehranstalten der Grande Nation in die Sommerferien. Christian und Tristan waren dem Schulalltag eher entflohen, weil eigentlich ein Urlaub mit Onkel Jean-Luc geplant war. Nun saßen sie auf heißen Kohlen, denn sie wollten endlich eine erschreckende Neuigkeit loswerden. Der kleinen Reisegruppe wurde gar keine Zeit gegeben, sich mal hinzusetzen und ihren Gefühlen endlich gegenseitig freien Lauf zu lassen.
Christian und Tristan bestürmten sie vor lauter Elend mit neuen, seltsamen Tatsachen: „Mama, Mama, stell dir vor: Unser Internat wurde überfallen! Nachdem wir schon zwei Tage früher abgereist waren, bekam ich heute Morgen eine SMS von meinem Zimmerkumpel Paul. Sie wurden alle betäubt
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